Wolf Wondratschek
Dante, Homer und die Köchin. Eine Komödie
„Kaum wiederzuerkennen, die beiden, Homer rasiert, Dante fieberfrei.“ Sie leben, sind zum Leben verdammt, aber das Schreiben haben sie weit hinter sich gelassen, dennoch: „Man muss nicht schreiben, aber man muss es können.“
Erinnerungen eindampfen
Wolf Wondratscheks Komödie gilt in erster Linie dem Schreiben – und dem Nichtschreiben oder Nichtmehrschreiben. Homer, mit Dante in einem hübschen Haus in Italien lebend und seine Unsterblichkeit gelassener genießend als der mittelalterliche Freund, bestreitet, jemals Schriftsteller gewesen zu sein. Ganz gesichert ist seine Existenz ja auch nicht, und ob die ‚Ilias‘ und die ‚Odyssee‘ von ihm allein verfasst oder weitgehend mündlich überliefert wurden, bietet noch immer Streitstoff für Altertumsforscher.
„Die Erinnerungen, jede einzelne, eindampfen! Darunter mische man mit ruhiger Hand, was man geschrieben und alle Bücher, die man gelesen hat. Bei Körpertemperatur gut umrühren!“
Gemeinsam denken die großen Menschheitsdichter nach, über den Ruhm und das Verstehen, und Homer fasst zusammen:
„Einmal werde ich verstehen, dachte ich und bin gescheitert. Nicht eine Sonne, nicht einen Stern, nicht einen Stein habe ich je verstanden. Den Ruhm, der meinen Namen trägt, verstehen? Unmöglich.“
Bürde der Altersweisheit
Homer ist der genussfreudigere von beiden, dem Klavierspiel und den Freuden, die ihm die Künste der namenlosen Köchin bereiten, mehr zugeneigt als Dante, doch einig sind sie sich allemal im Bewahren ihrer Anonymität und der gemeinsamen Unternehmung, zu vergessen. So auch Dante, der unter seinem Ruhm mehr leidet:
„Keine Worte mehr, auch die geliebten nicht mehr, die klaren, die wahren, die schönen, die wohlklingenden. Wahrheit ist Zufall, und auch dann wissen wir nicht weiter. Mein Schweigen wird, wenn es gelingt, Freude sein.“
Derweil entziehen sie sich allen Versuchen, das Geheimnis ihrer Langlebigkeit zu lüften und erweisen sich vor dem Objektiv neugieriger Fotoapparate als Chimären. Mal kommt Nora Joyce zu Wort, die Witwe des Schriftstellers, der sich an Homer maß, mal an Shakespeare. Virtuos spielt Wolf Wondratschek mit der Bürde der Altersweisheit und der Ahnung, wie vergeblich und zerstörerisch menschliches Tun sein kann, - „Arkadien ist eine Müllhalde geworden“. Und dennoch preist seine Komödie zugleich den Wert des Vergessenen, eines Reichtums, der in den Träumen der Menschen immer wieder aufscheint.
Geheime Begierden
Wenn Homer im Schlaf Klavier spielt, erinnert er sich an alles Können, gerade weil die Kontrolle über die Musik abhandengekommen ist. Ein Paradox, mit dem Wondratschek sich in diesem kleinen Band ernsthafter beschäftigt als es zunächst den Anschein hat. Das, was von einem Leben bleibt, wird Homer auf dem Heimweg zu Dante sagen, sei das Verdienst, seinem Herzen verziehen, aber die Hände geliebt zu haben. Über die Köchin, die vor der Liebe davonrannte, denkt er mit Zuneigung nach:
„Hat sie alle Männer nur für boshafte Wüstlinge gehalten? Hatte sie sie zu früh abgeschrieben? Glaubte sie nie daran, gefallen zu können? Waren ihre Sommersprossen der Grund, sich nicht schön zu finden? Ihre zu kräftigen Hände?“
Sie hingegen stellt sich mitunter den Dichter der Höllenkreise als jungen Mann vor, mit Muskelkraft und geheimen Begierden, während sie Aprikosenkuchen für beide backt, die in dieser freundlichen, altersweisen Komödie weiter über die Flüchtigkeit von Glück, Ruhm und Unsterblichkeit philosophieren:
„Warum, will Dante wissen, darf sich Glück nicht wiederholen? Natürlich darf es sich wiederholen, aber nicht zu oft! Aber warum? Weil es dumm macht, darum, sie Dummkopf!“
(Lore Kleinert)
Wolf Wondratschek, *1943 in Karlsruhe, deutscher Schriftsteller mit zahlreichen Veröffentlichungen, lebt seit 1996 in Wien
Wolf Wondratschek „Dante, Homer und die Köchin“
Eine Komödie
Ullstein 2021, 240 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Wolf Wondratschek
"Selbstbild mit russischem Klavier"