Katty Salié
Das andere Gesicht
Depressionen im Rampenlicht
Winston Churchill nannte seine Depression den „schwarzen Hund", die Schauspielerin Nora Tschirner fühlt sich von einer „diffusen Armee in schwarzem Nebel” bedroht, und Katty Salié spricht vom „dicken D". Sie moderiert seit vielen Jahren die ZDF-Sendung „Aspekte".
Ihre Depression hat sie lange verdrängt und versteckt. Bis es nicht mehr ging und es „Dementorenalarm” gab, „familienintern mein Codewort für „Alle in Deckung, Mama hat Depressionen". Wie so viele Betroffene fürchtete sie Vorurteile und Klischees, die damit verbunden sind. Obwohl sich zunehmend mehr Menschen zu dieser Krankheit bekennen, in der Regel sind es allerdings Prominente, die tatsächlich im Rampenlicht stehen. Die Mehrheit der Betroffenen spricht höchstens im Familien- und Freundeskreis darüber oder schweigt und leidet. Katty Salié weiß davon, denn auch in ihrer Ursprungsfamilie wurde über psychisch Kranke oft negativ als Menschen geredet, „die mit dem Leben nicht klarkamen". Vielen, die unter einer solchen Stigmatisierung leiden, ist Katty Salié während ihrer Therapie ganz direkt begegnet, sie hat Freundschaften geschlossen, aber auch viel durchgemacht:
„Ich habe schwere, schmerzhafte, kräftezehrende Momente durchlebt. Habe mich ... ins Dunkel gewagt und viele Ängste ausgestanden. Viel Wut gespürt. Und selten so viel geweint." Schleusen auf und alles raus. Darüber war ich fassungslos ... Ich war fassungslos im Sinne von: nicht gefasst, nicht eingeschraubt in die Fassung, in all die Contenance, die ich mir im Alltag auferlegt habe.”
Ursprünge
Dabei liegen in der Ursprungsfamilie oft Ursachen für eine spätere Depression - Kindheitstraumata und Lieblosigkeit, Schwermut oder unerklärte Traurigkeit bei Eltern oder Großeltern. Auch Katty Salié entdeckte solche Phänomene, hinzu kamen tragische Todesfälle in der Familie und in der Nachbarschaft. Aber es hat lange gedauert, bis sie Zusammenhänge erkannte und nicht mehr im Hochleistungsmodus zu funktionieren versuchte. Wie es viele andere tun oder getan haben, die sie in ihrem Buch zu Wort kommen läßt. Sie erzählen offen von ihrer Krankheit, von den unterschiedlichen Strategien, die sie entwickelt und von Therapien, die ihnen geholfen haben.
Spiegel-Autor Benjamin Maack:
„... ich wünschte, dass diese Krankheit ein verschissener Beinbruch wäre. Dann wüsste ich, wann es angefangen hat, was zu tun ist und wann ich wieder gesund bin. Außerdem könnten die Kinder mit meinen Krücken spielen."
Die Autorin und Übersetzerin Zoë Beck schreibt in ihrem Buch „Depression. 100 Seiten" von Ärzten, die Bachblütentropfen oder eine Ernährungsumstellung verordneten, ist genervt von den Verweisen auf die Hormone oder ein „überreizt sein". Und sie sieht einen gravierenden Unterschied:
„Wenn Männer über ihre Depressionen reden, werden sie gelobt für ihre Sensibilität, wenn Frauen depressiv sind, werden sie noch heute als hysterisch abgestempelt."
Selbstfürsorge
Der Autor und Kolumnist Till Raether beschreibt die Mühsal, innerhalb einer Therapie zu Selbstfürsorge und inneren Erkenntnisprozessen zu finden. Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan entschied sich für eine Psychoanalyse, um ihre Depression zu heilen, und die Autorin Sophie Passmann hat sich damit abgefunden, dass depressive Episoden Teil ihres Lebens sind:
„Ich will eben keine Angst haben, sondern Rüstzeug. Ich will aber auch nicht in eine Selbstfürsorge-Neurose rutschen. Natürlich weiß ich, was für mich wichtig ist. Ich will aber nicht immer nur achtgeben."
Katty Salié, die selbst sehr persönlich, impulsiv und offen über ihre Depression spricht, trifft auf Gesprächspartner, die Stigmatisierung und gesellschaftliche Vorurteile erlebt haben und etwas daran ändern wollen, wenn sie schonungslos und ehrlich über ihre Ängste und Panikattacken, ihre Scham, Selbstverurteilung und verschütteten Gefühle sprechen. Wobei spannend gewesen wäre, wenn die Autorin - zum Beispiel - auch den depressiven "Nachbarn von nebenan" befragt hätte.
Empathie
Gleichwohl kann dieses erfahrungsorientierte, verständliche und mit viel Empathie geschriebene Buch mit seinen sachlichen Informationen und emotionalen Erfahrungen wichtige Hilfestellung für jene sein, die außerhalb der Öffentlichkeit stehen, sich schämen und heimlich verzweifeln.
„Als Betroffener kannst du, egal wem, der besten Freundin, deinem Partner, egal wem – du kannst es tausendmal versuchen zu erklären. Er oder sie wird es nie verstehen. Können sie auch gar nicht. Müssen sie auch gar nicht. Das Einzige, was ich erwarte – und das hat sich in den letzten Jahren spürbar gebessert – ist, dass das Leid ernst genommen wird ...”
Sagt Armin Rösl, Pressesprecher der Deutschen DepressionsLiga e.V. Und trifft damit auch den Kern dieses Buches: Verständnis, Respekt und Hilfe für jene zu haben, die unter oft lebenslangen Depressionen leiden.
(Christiane Schwalbe)
Katty Salié, *1975, Studium französische Literaturwissenschaft, Geschichte und Medienwissenschaft, moderiert seit 2012 das ZDF-Kulturmagazin Aspekte, lebt in Köln
Katty Salié „Das andere Gesicht"
- Depressionen im Rampenlicht -
Kiepenheuer & Witsch 2023, 352 Seiten, 25 Euro
eBook 19,99 Euro