Cees Nooteboom
Mönchsauge
Gedichte
Insel der grauen Mönche, so heißt die niederländische Nordseeinsel Schiermonnigkoog, mit ihrem endlosem Strand, der wie die Sahara aussieht, erzählt der Schriftsteller und Dichter Cees Nooteboom im Gespräch in seinem Amsterdamer Haus.
Auf Händen und Knien
Diese Insel liebt er, ebenso wie Menorca, seinen Sommerwohnsitz, und die Gedichte, von denen 33 im Band "Mönchsauge" versammelt sind, überrollten ihn auf der nördlichen Insel wie eine Flut.
"Wenn es zu gut geht, muss man auch aufhören, und dann hab ich das Ganze mitgenommen auf diese andere Insel. Auf Menorca gibt es auch sehr viele prähistorische Bauten, frühere Siedlungen von prähistorischen Menschen. Riesig große Steine usw., also das ist dann auch in diesem Buch, in diesem Dichtband gelandet. Da gibt es z.B. in Form eines Schiffes, etwas wie ein umgekehrtes Schiff, und da kann man hinein, auf Händen und Knien, und das war wahrscheinlich ein Begrabort, aber das weiß man nicht mehr, alles ist verschwunden, und dann ist man in dieser Leere und daraus ist auch ein Gedicht entstanden.“
Tausend Meter lang die Mauer, niemand in Sicht.
Ich geh wie ein Vorfahr über ihr Land, erdenke, wer sie waren.
Nichts weiß ich, alles, was ich sage, ist Erfindung.
Hier liefen sie, kleiner als die Steine
Ihres Heiligtums. In der Ferne die andere Insel,
von der sie gekommen waren auf ihren Schiffen
aus Treibholz. Ihre Göttin an Bord, ihre Toten
legten sie ab in einem umgestülpten
Schiff aus Stein. Ich krieche über den Boden
hinein und höre sie flüstern. Gelogen,
ich höre nichts, doch sie sind da, sie schlafen in ihren
Körpern aus Luft, so viel Nichts
In einer Stille.
Trug- und Traumbilder
Stille und Leere, der "bittere Tod", die Teufel "aus anderen Leben", all das beschwört Nooteboom in diesen Gedichten und immer umgibt er die Erinnerungen und Sinneseindrücke, die Wiedergänger aus anderen Welten und die Verlorenen aus den Zeiten der Jugend mit dem "Geräusch vom Meer". Die Krähe fragt, wer er sei, der Marder, der Vogel, der Meister zeigen sich ihm – Erscheinungen, die das Kleine groß werden lassen. Der Fünfundachtzigjährige spricht vom alten Dichter, der nicht mehr ans Meer will, weil ihm das Weite und Offene Angst machen, denn Hafen und Boote versinken und nur der "gläserne Tod" wartet. Doch mit den Wörtern entsteht zugleich eine neue, kunstvolle Welt, die Trug- und Traumbilder zu bannen vermag, drei Strophen mit je vier Versen und am Ende immer ein Halbvers, der umso stärker wirkt, oft als überraschende Wendung, als Synkope. Die strenge Form gibt der Melancholie Halt, und für Nooteboom ist das Wesen aller Poesie in der ersten Zeile des "Phaidros" enthalten:
"Da hab ich diesen berühmten Dialog von Platon, Sokrates und Phaidros in meiner Imagination gesehen, ja, und dann gibt einen Augenblick, dass Sokrates zu Phaidros sagt: Von woher und wohin, und das ist die ewige Frage natürlich auch für uns: von woher und wohin?"
Schwebende Leichtigkeit
Bei aller Klage, die sie auch in den Zeilen bergen, über den im Krieg verlorenen Vater, oder "die falschen Farben der Leidenschaft", sind Nootebooms Inselgedichte von schwebender Leichtigkeit, leuchtende Bilder, die von den Zeichnungen Matthias Weischers wunderbar eingerahmt, befragt oder auch herausgefordert werden - auch sie sind 2017 auf den beiden Inseln entstanden, inspiriert von ihren Pastelltönen und dem Rhythmus des Meeres. Nooteboom liebt es, seine Inspirationen mit Malern zu teilen, und auch der zweisprachige Band "Mönchsauge" zeugt vom Raum, den man einander gewährt. Er sei zu etwas zurückgekehrt, von dem er sich nie ganz entfernt habe, sagt der vielgereiste Dichter, die Hast, die ihn einst fort getrieben hatte, sei verschwunden. Was geblieben ist: die Beherrschung der Sprache, die poetische Kraft, das Vertrauen, sich den großen Fragen stellen zu können, ohne mit Antworten zu rechnen.
Aber dann? Gedichte kennen kein
Fragezeichen, sie müssen den Wahnsinn
zähmen, nicht abstreiten, sie müssen
ihre Form hexen aus leeren Gedanken,
bis sie die sind.
(Lore Kleinert)
Cees Nooteboom, *1933 in Den Haag, niederländischer Dichter und Schriftsteller von Romanen und Reiseberichten
Cees Nooteboom "Mönchsauge"
Gedichte
aus dem Niederländischen übersetzt von Ard Posthuma
zweisprachige Ausgabe mit Bildern von Matthias Weischer
Suhrkamp 2018, 128 Seiten, 24 Euro
eBook 20,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Cees Nooteboom
"Venedig - Der Löwe, die Stadt und das Wasser"
"Briefe an Poseidon"