John Burnside
Anweisungen für eine Himmelsbestattung
Ausgewählte Gedichte Englisch-Deutsch
Was wir wissen, schreibt John Burnside in seinem großen Essay "After Lucretius", entspreche nie ganz der Summe dessen, was wir vorfinden; und so entsteht beim Lesen seiner Gedichte immer ein Gefühl, dass sich Türen öffnen könnten.
Nur in der Poesie
Für andere Möglichkeiten, sich an etwas oder jemanden anzunähern, für intensivere Momente, und wir ahnen, dass die Wirklichkeit um uns herum – andere Körper etwa, die Farben oder die Zeit überhaupt – etwas verbergen, was erfahrbar werden könnte, wenn auch nur in der Poesie. Zugleich weiß dieser Dichter und Autor aus Schottland, dort wurde er 1956 geboren, dass alles Lebendige sein Wissen zugleich offenbart und auslöscht. Wenn man etwas festhalten will, entzieht es sich gern, und bestimmte Dinge lassen sich eben nicht unbedingt auf einen Nenner bringen oder festhalten.
Erkundung der Welt
Dafür dann doch einen Ausdruck zu finden, dafür haben wir die Dichtkunst. John Burnsides schönste übersetzte Gedichte von 1994 bis 2014 liegen jetzt bei Hanser in einer umfangreichen zweisprachigen Ausgabe vor, eine Einladung zur Erkundung der Welt, die zugleich, wie der Dichter sagt, eine Suche nach "home" sei. Zu Recht weist sein Übersetzer Iain Galbraith im Nachwort darauf hin, dass "home" alles andere als ein gemütliches Zuhause sei, und im Gedicht "Brunnen" heißt es:
– zu einem Zuhause gehört mehr
als ich je erwartet hätte:
ein Prozess des Ausgrabens, Suchens
nach etwas in mir, das gegen
die Kälte des anderen zu setzen wäre,
gegen das Echo, das du nicht hörst, wenn ich lauschend innehalte…
Mitten im Irrgarten
Weiter zu graben, auch wenn es anscheinend nichts zu finden gibt, und für die Zwischenräume eine Sprache zu finden, das hat John Burnside schon sehr früh fasziniert. Vielleicht hat es ihn sogar gerettet, denn seine Verse wurden zunächst, wie er selbst mal sagte, in Notwehr entworfen, gegen eine Kindheitsgeschichte von Verwahrlosung und Not – in seinem großen autobiografischen Roman "Lügen über meinen Vater" kann man dies genauer kennenlernen.
Im Gedicht "Spiegelkabinett, Berlin, 2012" wagt er sich mit seinem eigenen Sohn in einen verspiegelten Irrgarten, reflektiert sich im Kreise drehend wieder und wieder, beschwört die Furcht "vor jenem Spiegelbild, das uns in irgendeinem/ fernen Alptraum heimsuchen könnte", und er spricht von Liebe, die schwer einzulösen ist, wenn
all die Personen, die er einmal war,
zerschellen, bis nichts mehr bleibt als ein Rahmen,
in dem niemand steht, auch wenn fast jeder
den Weg – durch Liebe und den Verlust von Liebe – zu diesem Finale
finden könnte, verwaist, weit entfernt von zu Hause.
Licht und Schwerkraft
John Burnside ist ein Dichter, der die fremden Aspekte der Selbsterforschung reflektiert, als "Fliegenfänger, Träumer, Tor", wie er schreibt, und mit jeder Beschwörung der Vergangenheit fördert er – durch Liebe und den Verlust der Liebe -- das Verschüttete und Verlorene immer wieder anders und neu zu Tage. Sich seiner Erkundung anzuvertrauen, und das in zwei Sprachen parallel, ist ein großes Vergnügen, denn er setzt gegen das vermeintlich Unabänderliche eine neue Geschichte, eine Geschichte von Licht und Schwerkraft, so heißt es in seinem Gedicht "Weltformel". Nur wer weiß, dass die Dinge sich entfernen, wenn man sie benennt, kann eine neue Sprache finden auch für das schwarze Herz der Materie - oder die Schrecken familiärer Unheimlichkeit.
(Lore Kleinert)
John Burnside *1956 in Schottland, einer der bedeutendsten schottischen Autoren der Gegenwart
John Burnside "Anweisungen für eine Himmelsbestattung" Ausgewählte Gedichte Englisch-Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Iain Galbraith
Hanser Verlag 2016, 304 Seiten, 22 Euro
Weiterer Buchtipp zu John Burnside
So etwas wie Glück Geschichten über die Liebe