Doris Dörrie
Die Reisgöttin
In der Regel sind es kleine Dinge, die den weiten Weg aus fremden Ländern in unsere Wohnungen finden, um dann als feine kleine Erinnerung, unnützer Nippes oder kitschiger Staubfänger rumzustehen - Bürsten und Messer ausgenommen, die werden benutzt. Doris Dörrie gibt diesen Mitbringseln aus Japan, Mexiko, Bali oder Amerika ihr ganz eigenes Leben, wenn sie ihre Geschichte erzählt.
Antike Statue
Um gleich mit der Titelgeschichte anzufangen: Mit einem Augenzwinkern beleuchtet sie, was der Tourismus mit den Menschen in weit entfernten Ländern macht, wenn Reisende nicht genug bekommen können z.B. von wertvollen alten Holzskulpturen wie der balinesischen Reisgöttin. Rund um die Uhr ehren die Balinesen ihre Gottheiten mit heiligen Zeremonien: mit Tänzen, Obstpyramiden, Blütenkörbchen oder Gamelanspiel. Auch wenn das Drumherum im grauen Zuhause wegfällt, die Skulpturen bringen ein Strahlen mit – aber alt müssen sie sein. Also werden sie von den Einheimischen im Akkord geschnitzt, eine Woche lang Sonne und Regen ausgesetzt und voilà: So altern sie jetzt schneller - „one week antique”.
Weniger heiter – zumindest auf den ersten Blick - liest sich die Geschichte vom perfekt modellierten Gehirn, das Doris Dörrie im Iran in einem Laden für medizinische Lehrbücher magisch angezogen hat, nachdem sie – eingeladen zur Vorführung eines ihrer Filme – fassungslos sehen musste, was die Zensur daraus gemacht hatte, vom Publikum mit lautem Zischen kommentiert. Trotz Offenheit und großem Interesse vor allem der Frauen trat sie ständig in irgendein Fettnäpfchen:
„Ich diskutierte scheinbar frei, im nächsten Augenblick schüttelte ich einem Mann auf der Bühne überschwänglich und gedankenlos die Hand und riskierte damit seine Entlassung ... Kein Klischee über den Iran stimmte, aber das Gegenteil stimmte auch nicht. Mein Gehirn platzte fast.”
Mit dem Modellhirn unter'm Arm sorgte sie für Lachen – es konnte mühelos gewaschen werden.
Wundermittel Talkum
Anders als ihre helle Bluse in einem italienischen Restaurant, die sie als „notorische Kleckerin” ruiniert hätte, wäre da nicht ein eifriger Kellner angerannt gekommen, mit einer Dose „Borotalco” auf einem Silbertablett, um den Fleck sorgfältig mit Talkum einzusprühen und hinterher pudrige Überreste abzubürsten – der Fleck war weg und Borotalcum, 1878 in Florenz erfunden, kann man inzwischen auch im Netz finden. Das gilt allerdings nicht für die blaue, nach Ruß und Rauch müffelnde Feuerwehrmütze aus Tokio:
„Sie wurde in Wasser getaucht und klatschnass aufgesetzt, um sich so in das zu löschende Feuer zu stürzen. Und dann sagte der Verkäufer noch eine Zahl: 1923, das Jahr des großen Kanto-Erdbebens ...vielleicht war es nur eine Geschichte, die mir der Verkäufer erzählt hat – aber sie ist nun in meinem Kopf und geht auch nicht mehr weg.”
Wie ihre Kirschblütenmanie, der an den wunderbar poetischen Film „Kirschblüten – Hanami” und damit an Elmar Wepper und Hannelore Elsner erinnert - und daran, dass die Kirschblüten während der Dreharbeiten einfach nicht aufblühen wollten. Seitdem stehen Kunstkirschblüten in ihrem Badezimmer. In der Küche findet sich dagegen ein ganzes Bürstenballett, wobei nicht jede Bürste ihre wahre Funktion gefunden hat – aber ist das wichtig bei einem Andenken?
Buddhas Lächeln
In ihrer Wohnung stehen viele dieser kleinen Dinge – ein Teppichklopfer aus Bayern neben einer silbernen Wrestling-Maske aus Mexiko, einer Origami-Schnecke aus Japan, dem Hindu-Gott Ganesha aus Indien oder einer Teeflasche aus Peking und Boxerstiefeln aus New York. Sie alle haben eine besondere Geschichte und erinnern heiter, kritisch oder nachdenklich an weite Reisen, fremde Kulturen und geduldige Menschen, denen Doris Dörrie – auch das zeigen ihre heiteren, kleinen Anekdoten – stets mit Neugier, Wertschätzung und Respekt begegnet ist. Wie dem Hausmeister, der ihrem im Müll gefundenen Buddha wieder Hand und Fuß angeklebt hat, sodaß er gefahrlos reisen konnte. Ein Zwilling von ihm bekam später eine Rolle in „Grüße aus Fukushima”, wo er einer grantigen Japanerin zu einem Lächeln verholfen hat.
(Christiane Schwalbe)
Doris Dörrie, *1955 in Hannover, deutsche Filmregisseurin und Autorin von Drehbüchern, Romanen, Kurzgeschichten und Kinderbüchern, lebt in München
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