Jacqueline Kornmüller
Das Haus verlassen
Goldschnitt, grünes Lesebändchen und wunderschön gezeichneter grün eingefärbter Einband – ein kleines Buch, das Leser und Leserinnen schon beim In-die-Handnehmen für sich einnimmt.
Das Haus entscheidet
Im ersten Satz erfahren wir, dass es der Besitzerin des Hauses keine Mühe macht, es zu verlassen. In 18 Kapiteln begleiten wir sie dabei, wie sie versucht, sich von ihm zu trennen, und jede von Kat Menschiks herrlichen ganzseitigen Illustrationen erzählt eine andere Geschichte: von Blicken in die Landschaft, Gegenständen, an denen die Zuneigung eines ganzen Lebens hängt, von Blüten, Blättern, einem kleinen Frosch, dem Maikäfer, den schönen Vögeln. Immerhin wird jemand gesucht, der – oder die – gut zum Haus passen könnte. Einige von denen, die es besichtigen, kommen zwar infrage, aber: das Haus selbst meldet sich vernehmlich zu Wort, zumindest für die Bewohnerin, und wenn es fremdelt oder schweigt, spiegelt es die Gefühle seiner Besitzerin.
Wie ein Holzwurm
Der Belgier und Frau Salz kommen in Begleitung zweier Verwandter,
„beide so sachverständig, dass Bruder Salz sich wie ein Holzwurm durchs Dachgebälk fraß, während Vater Salz immer stiller wurde. Ich glaube, die Salze können wir vergessen, sagte das Haus und konnte seine Häme kaum verbergen.“
Die Appetitliche, wie das Haus sie nennt, gleitet durch das Haus, berührt nichts und fotografiert alles, und das Haus träumt von Kälte und Unfrieden: „Die nicht, sagte das Haus. Okay, sagte ich.“ Und während immer mehr Besichtigungstouristen aufkreuzen, Mängellisten anfertigen oder den erforderlichen Preis nicht zahlen können oder wollen, tritt die Erzählerin in immer intensiveren Dialog mit ihrem schönen, 140 Jahre alten Haus aus Feldsteinen.
Bühne der Erinnerung
Jacqueline Kornmüller, die in Wien als Regisseurin arbeitet, bereitet der Erzählerin und ihrem Haus eine Bühne, auf der sich Erinnerungen und Lebensträume zeigen, und allmählich fragt sich die Leserin, ob es wirklich gut wäre, ein so zugewandtes und kluges Haus zu verlassen. Immerhin gibt es Gründe dafür, einen neuen Weg einzuschlagen, und eine der Anwärter, die „Suchende“ erweist sich als hartnäckig.
„Sie hatte inzwischen erkannt, dass das Haus ihre Erlösung bedeuten würde…Eine gerissene Gegnerin hatte ich mir da eingefangen.“
Die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Zauber des Hauses, mit all ihren vergnüglichen Facetten ist ein großes Vergnügen, beim Lesen und in Begleitung der phantastischen Bilder von Kat Menschik.
(Lore Kleinert)
Jacqueline Kornmüller, *1961 in Garmisch-Partenkirchen, Regisseurin, sie lebt in Wien.
Kat Menschik, *1968 in Luckenwalde/Potsdam, freie Illustratorin, gestaltet seit 2016 die Buchreihe "Lieblingsbücher" im Galiani Verlag
Jacqueline Kornmüller „Das Haus verlassen“
Illustriert von Kat Menschik
Galiani Verlag Berlin 2024, 90 Seiten, 22 Euro