Julian Barnes
Lebensstufen
Wer hoch steigt, kann tief fallen – nicht nur eine banale Phrase, sondern auch eine einprägsame Metapher. Julian Barnes wählt Metaphern, um seine Geschichte des Trauerns subtil, einfühlsam und klug in drei Essays zu erzählen, die nur auf den ersten Blick nicht zusammengehören.
Wahrheit und Magie
Mit seiner Frau, der Literaturagentin Pat Kavanagh, war er 30 Jahre lang verheiratet. Sie starb 2008 an einem Gehirntumor. "Lebensstufen" ist ein Buch über die Liebe und die Trauer, erzählt in Vergleichen und Geschichten.
"Warum streben wir dann ständig nach Liebe? Weil in der Liebe Wahrheit und Magie zusammentreffen. Wahrheit wie bei der Fotografie, Magie wie bei der Ballonfahrt."< /br>
Dabei werden stets zwei Dinge (oder Menschen) "zusammengebracht, die vorher nicht zusammengebracht wurden, und die Welt hat sich verändert."
Wir erfahren von Felix Tournachon, genannt Nadar, der als erster Fotograf Luftaufnahmen machte, von den Aeronautenbrüdern Godard, von Sarah Bernhardt, der legendären Schauspielerin und begeisterten "Ballonatikerin" und von Frederick Burnaby, dem weltgewandten Bohemien und Abenteurer.
Höhenflug und Absturz
Barnes wählt den Höhenflug eines Ballonfahrers und den tiefen Sturz, den er stets vor Augen hat. Wer in einen Fesselballon steigt, der weiß nicht, wo er landet, auch nicht, ob sanft oder hart. Aber
"Ballonfahren stand für Freiheit – doch diese Freiheit war der Macht von Wind und Wetter unterworfen. Die Aeronauten wussten oft nicht, ob sie in Bewegung waren oder stillstanden, an Höhe gewannen oder verloren."
Auch in der Liebe weiß man nicht, ob es klappt, denn:
"Man bringt zwei Menschen zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden. Manchmal ist das wie jener erste Versuch, einen Wasserstoffballon an einen Heißluftballon zu koppeln: Man hat die Wahl zwischen abstürzen und verbrennen oder verbrennen und abstürzen. Aber manchmal funktioniert es, und etwas Neues entsteht, und die Welt hat sich verändert."
Schmerz und Trauer
Die Liebesgeschichte zwischen Sarah Bernhardt und Fred Burnaby endet unglücklich, als er ihr einen Antrag macht. Eine Bernhardt lässt sich keine Fesseln anlegen. Sein
"Schmerz sollte mehrere Jahre anhalten. … Wenn ihn jemand nach seiner Düsterkeit befragte, antwortete er, er werde von der Melancholie der Schleiereule heimgesucht."
Und dann – die eigene Düsterkeit, der Schmerz: "Der Verlust der Tiefe" ist das letzte Kapitel überschrieben, in dem Barnes von seiner Trauer schreibt, von der Erinnerung an seine Frau, wie sehr er sie vermisst, dass er ständig mit ihr spricht:
"Jede Liebesgeschichte ist eine potenzielle Leidensgeschichte. Wenn nicht gleich, dann später. Wenn nicht für den einen, dann für den anderen. Manchmal auch für beide."
Ein ehrliches und berührendes Buch, das dem Leben gewidmet ist und den Tod nicht ausschließt.
(Christiane Schwalbe)
Julian Barnes "Lebensstufen"
Übersetzung von Gertraude Krueger
Kiepenheuer & Witsch 2015, 144 Seiten, 16.99 Euro
eBook 14.99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Julian Barnes
"Der Lärm der Zeit"