Amelie Fried
Schuhhaus Pallas
Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte
Ein Anruf aus New York lässt die Schriftstellerin Amelie Fried einigermaßen verstört zurück. Ihr Mann hat - eher zufällig – ein Familienkapitel entdeckt, von dem sie bislang nichts wusste: Die Verfolgung zahlreicher Familienangehöriger durch die Nazis. Amelie Fried schreibt für ihre Kinder auf, was sie über Jahre hinweg recherchiert hat. Damit die Sprachlosigkeit sich nicht fortsetzt.
Täter und Opfer
Eine exemplarische Geschichte, wie sie sich in vielen Familien zugetragen hat: Über die Nazis wurde nicht nur von den Tätern nichts erzählt, auch die Opfer haben geschwiegen.
"Wie ist es möglich, dass ich keine Ahnung davon gehabt habe? Gibt es vielleicht noch mehr, was ich nicht weiß? In meinem Elternhaus ist wenig über die Nazi-Zeit und den Krieg gesprochen worden, also habe ich immer geglaubt, es sei wohl auch nichts Wissenswertes vorgefallen".
Scham und Schuldgefühl
Sie erinnert sich an ein merkwürdiges Gefühl, das sie nie zuordnen konnte. Als stünde eine Mauer zwischen ihr und ihrem Vater, von dem sie sich nicht geliebt fühlte. Der Vater war im KZ und hat überlebt. Wie der Großvater.
"Die Scham, Opfer gewesen zu sein, das Schuldgefühl, überlebt zu haben, während so viele Freunde und Verwandte starben - es sind Empfindungen, die in meiner Familie dazu geführt haben, dass geschwiegen wurde".
Beharrlicher Widerstand
Und doch übertragen sich solche Gefühle auf die nächste Generation. Amelie Frieds Recherchen fördern Fakten zutage: den beharrlichen Widerstand des Großvaters gegen die Schikanen der Nazis, die Scheidung des jüdischen Großvaters von der nicht jüdischen Großmutter, um sie zu schützen und das Schuhhaus Pallas zu erhalten, den Tod von Großtante und Großonkel im KZ, die Begegnung mit einem Onkel, der nach Amerika emigrierte. Amelie Fried hat ihn mit Mann und Kindern besucht und befragt. "Das Geheimnis meiner Familie zu entdecken war wie der Blick in einen Abgrund."
Umfangreiche Recherchen
Es ist eine dramatische, eindringliche und traurige Geschichte, die Amelie Fried akribisch und sorgfältig recherchiert hat. Sie erzählt sie weitgehend sachlich und kühl, aber auch berührt und traurig: Wenn es um das Verhalten des Vaters geht, um ihr Verhältnis zu ihm oder um eine Tante, die nach anfänglicher Abwehr doch bereit ist, zu erzählen. Sie stirbt noch während der Recherchen.
Fragen stellen
Ihr Tod dokumentiert erneut die Notwendigkeit, Fragen zu stellen. Denn es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen oder gar Überlebende, die diese Fragen beantworten können. Aber genug Menschen, die sie stellen können: "Mit einem Mal wird aus abstrakter Historie konkrete Familiengeschichte. Zwei von sechs Millionen haben plötzlich einen Namen: meinen." Zahlreiche Dokumente und Fotos illustrieren die ebenso persönlichen wie allgemein gültigen Tatsachen und machen deutlich:
"Es ist nie vorbei und es darf niemals vergessen werden. Und das bedeutet: wir müssen fragen".
(Christiane Schwalbe)
Amelie Fried "Schuhhaus Pallas"
Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte
Hanser Verlag 2008, 8. Auflage, 192 Seiten, 14.90 Euro
Heyne Taschenbuch 8,95 Euro, Hörbuch Download 13 Euro