Volker Weidermann
Brennendes Licht
Anna Seghers in Mexiko
"Ein entkommener Flüchtling, das ist immer etwas, das wühlt immer auf. Das ist immer ein Zweifel an ihrer Allmacht. Eine Bresche." Sätze aus Anna Seghers Roman "Das siebte Kreuz", der zum Fanal gegen den Faschismus wurde, als dieser, 1941, noch unbesiegbar schien.
Bittere Erfahrungen
In den USA konnte die Schriftstellerin mit ihrer Familie nicht bleiben; trotz des Buchvertrags wies man die linientreue Kommunistin ab, und so wurde Mexiko zum Land des Exils. Pablo Neruda nannte die Emigranten hier das 'Salz der Erde', und als "Das siebte Kreuz" 1942 zum Bestseller wurde, konnte ein kleines Haus bezogen werden, auf dessen Dachterrasse sie "Transit", ihr wohl wichtigstes Buch, fertigschrieb.
Volker Weidermann nähert sich mit tiefem Verständnis für die politische Situation und die bitteren Erfahrungen im Gepäck der Gestrandeten diesem vorläufigen, heimwehkranken Leben im Exil an. Hier, zwischen exotischer Farbenpracht und unter leuchtendem Himmel traf man sich, plante und politisierte im Heinrich-Heine-Club, hier, in dieser "Oase des kollektiven Optimismus". Je näher die Möglichkeit einer Heimkehr in diesen Jahren rückte, desto bösartiger und schärfer wurden auch die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen und unter den kommunistischen Emigranten. Alle waren sich des langen Arms der Komintern bewusst, und das nicht nur wegen der Ermordung Trotzkis 1940.
Zurück ins Leben
Doch ein schwerer Unfall reißt Anna Seghers aus ihrem Alltag heraus: vier Tage lang ist sie, mit schwersten Kopfverletzungen, bewusstlos, nachdem sie über den Haufen gefahren und am Straßenrand liegengelassen wurde, und sehr mühsam kämpft sie sich ins Leben zurück, begleitet vor allem von ihrer fünfzehnjährigen Tochter Ruth. Schritt für Schritt bewegt sie sich zurück, in die Landschaft der Kindheit, die Heimat, als sie als Netty Reiling, Tochter gläubiger Juden, in Mainz lebte.
"Sie erzählt in diesen Tagen so direkt und ungeschützt und persönlich von sich selbst wie nie zuvor und nie danach. Es ist, als habe ihr in diesen Tagen jemand die Schutzdecke weggezogen, die sie behütet und gewappnet hat in all den Jahren zuvor und in all den Jahren, die noch kommen werden."
In dieser Zeit der Heilung schreibt sie einen Text, der später unter dem Titel "Ausflug der toten Mädchen" erscheinen wird. Volker Weidermann begleitet sie mit dieser Erzählung zurück in die vergangene, verlorene Zeit, die bewahrt werden muss, um jeden Preis: "Näher ist sich Anna Seghers in ihrem Schreiben nie gekommen als in dieser kurzen Erzählung am Rande des Nichts", denn im Erinnern erobert sich die Schriftstellerin langsam ihr Leben zurück. Weidermann weiß, wie schon in seinen Büchern "Ostende"(2014) und "Träumer"(2017), um die Grenzen, die den utopischen Hoffnungen der Schriftsteller im gnadenlosen 20. Jahrhundert gesetzt waren. Sein Wissen um die spärlichen Möglichkeiten, sich selbst oder gar andere zu verändern, schwingt auch in diesem Lebensbild einer großen Autorin mit, die ihrem ideologischen Korsett vermeintlicher Gewissheiten kaum mehr entkommen konnte.
Für eine bessere Welt
Arthur Koestler, Spanienkämpfer und selbst einer der meistgehassten Renegaten der kommunistischen Bewegung, erinnert sich an eine Begegnung mit einem Parteifunktionär, von der sie ihm erzählte: "Warum, fragte sie niedergeschlagen, warum welken die Blätter überall da, wo wir hinkommen?" Doch weder die Moskauer Prozesse noch der Hitler-Stalin-Pakt konnten Breschen in die Grundüberzeugungen derer schlagen, die für eine bessere Welt, nach dem Sieg über den Faschismus, alles zu opfern bereit waren, die Freunde, die eigene Integrität.
"Doch sie ist ja auf der Welt, um das Unbezwingbare zu bezwingen. Auch die eigene Müdigkeit, auch die Zeit. Niemals die Dinge einfach geschehen lassen. Sich dagegenstemmen. Mit aller Kraft. Gegen die Müdigkeit, gegen sich selbst."
Was Anna Seghers in Mexiko schrieb, zeugt vom Trost und der Geborgenheit, die sie in diesem Land fand - Spuren einer größeren Lebensfreude finden sich in ihren Erzählungen, obwohl sie selbst, wie die meisten Emigranten, keine Spuren hinterließ. Die Heimat, die sie im "Ausflug der toten Mädchen" zum Leben erweckte, findet sie nach dem Ende des Krieges, als Staatsdichterin der DDR, nicht wieder. In seinem klugen, melancholischen Nachwort geht Weidermann auch auf diese Zeit ein, auf die große Wirkung dieser Schriftstellerin, die nach ihrer Rückkehr immer mehr erstarrte, so wie ihr ganzes neues Land DDR, wie so viele ihrer Gefährten und Mitkämpfer.
Eiszeit
In einem Brief an ihren Freund Georg Lukács in Ungarn schreibt sie, sie habe
"doch manchmal das Gefühl, dass ich vereise. Ich habe das Gefühl, ich bin in die Eiszeit geraten, so kalt kommt mir alles vor. Nicht weil ich nicht mehr in den Tropen bin, sondern weil viele Sachen ganz beklemmend und ganz unwahrscheinlich frostig für mich sind."
Und Stefan Hermlin schrieb über sie, sie berge "in ihrem Innern unter Bergen von Schweigen Schreie und Worte, die niemals laut wurden." Ein glänzend formuliertes Buch ist Volker Weidermann gelungen, das in einem Ausschnitt des Lebens einer hochbegabten Autorin das Dilemma einer ganzen Generation entfaltet.
"Schweben, sterben, dichten – zurück dorthin, wo einmal alles gut war."
(Lore Kleinert)
Volker Weidermann, *1969 in Darmstadt, Studium der Politikwissenschaft und Germanistik, Autor beim SPIEGEL, lebt in Berlin
Volker Weidermann "Brennendes Licht"
Anna Seghers in Mexiko
Aufbau Verlag 2020, 186 Seiten, 18 €
eBook 13,99 Euro, Audio-CD 16,29 Euro