Pavel Kohout
Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel, Erlebnisse - Erkenntnisse
Seit vielen Jahren ist jedes neue Buch von Pavel Kohout für mich ein Ereignis. Nun legt er seine Erinnerungen vor, nach "Wo der Hund begraben liegt" eine weitere autobiografische Arbeit. Der tschechische Alleskönner - Dramatiker, Romancier, Theatermann - nimmt den Leser mit auf eine Rückschau auf sein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel, durch die politischen Höhen und Tiefen der Tschechoslowakei von den 30er Jahren bis heute zur Tschechischen Republik.
Von der Pro-KP-Lyrik bis zur Charta 77
Unter dem Eindruck des Krieges und der Nazi-Besatzer im "Protektorat Böhmen und Mähren" wird der junge Pavel Kohout (*1928) nach Kriegsende Mitglied in der jungen Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, arbeitet mit in einem Theaterensemble, schreibt erste kleine Stücke und ? glühende Partei-Lyrik. Mit den Jahren wächst jedoch ein innerer Abstand und Kritik an der KPTsch, die Rede Chrustschows, mit der er sich von den Greueln der Stalin-Ära offiziell distanziert, auch die Eindrücke des Ungarn-Aufstands 1956 lassen Kohout an der Parteilinie zweifeln.
Und es geht weiter: Auf den Versuch des "Prager Frühlings" und den Einmarsch der sowjetischen Panzer 1968 folgt einige Jahre danach die "Charta 77", die neben Kohout viele weitere kritische tschechische Künstler unterschreiben; es folgt die Ausbürgerung, der Umzug nach Wien, später die 'samtene Revolution' und die Zeit danach, als Kohouts Freund und Dramatikerkollege Vaclav Havel Präsident der neuen Republik Tschechien wird.
Politisch und menschlich integer
Der über 80jährige Pavel Kohout, der spätestens mit seinem Prager Kriegsende-Thriller "Sternstunde der Mörder" bei uns einem breiten Lesepublikum bekannt wurde, war in den 60er Jahren ein auch in Deutschland viel gespielter Dramatiker. In seinen Stücken nimmt er stets politisch Stellung, oft mit sarkastischem Humor; und den, das wird beim Lesen seiner Erinnerungen schnell klar, braucht er auch, um die immer wieder an ihn herangetragenen Anfeindungen zu überstehen.
In den 60er, 70er Jahren gilt er daheim als Antikommunist und Nestbeschmutzer; nach seiner Ausbürgerung sieht die westeuropäische Linke in ihm den Verräter an der sozialistischen Sache. Kohout, das macht er in seinem Buch deutlich, lässt sich nie seine eigene Meinung nehmen und besteht auf seiner politischen und menschlichen Integrität.
Ein Leben in der Mitte Europas
In diesem autobiographischen Buch erzählt kein 'Ich', was jedoch nur anfangs befremdlich wirkt. Im Gegenteil: Es erweist sich zunehmend als kluges literarisches Mittel. Kohout schreibt (von kleineren Kommentaren abgesehen) in der dritten Person, von "dem jungen Kommunisten", "dem Dramatiker" usf. Das ermöglicht es ihm, sich in eine gewisse Distanz zu den erzählten Ereignissen zu begeben und sie gewissermaßen aus kleinem Abstand zu betrachten.
Ein an Höhen und Tiefen reiches, aufregendes, sehr produktives Leben in der Mitte Europas schildert dieses Erinnerungsbuch, das eine hoch spannende und informative Zeitreise durch die 2.Hälfte des 20. Jahrhunderts bietet.
(Gabi von Alemann)
Pavel Kohout * 1928 in Prag, tschechisch-österreichischer Schriftsteller und Regisseur, lebt in Prag und Wien
Pavel Kohout "Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel"
Osburg-Verlag 2010, 564 Seiten, 26,90 Euro