Jón Gnarr
Der Outlaw
In seiner Autobiografie schaut Jón Gnarr, ehemaliger Bürgermeister von Reykjavík, auf seine schwierige Jugendzeit zurück. Zunächst lebt er in einem Internat für schwer erziehbare Jugendliche. Danach interessiert er sich nur noch für Tabletten, Alkohol und Sex. Er selbst betrachtet sich als Anarchist, dabei entgleitet ihm sein Leben nur mehr und mehr.
Menschenverachtende Erziehung
Núpur ist ein gottverlassener Ort. Von der Außenwelt abgeschnitten, leben die Schüler in einem Internat im Norden Islands. Die Fenster sind vergittert, es gibt kaum Gelegenheit zu Ausflügen in eines der umliegenden Dörfer, und essen müssen sie meist Walfischfleisch, das von am Strand verendeten Tieren stammt. Der Umgang mit den Jugendlichen ist menschenverachtend, kein Wunder, dass sie auch miteinander gnadenlos sind. Jónsi hat sich seinen Status erkämpft und ist relativ sicher. Er ist Jónsi Punk, bekannt für sein Interesse an Punkmusik und seinen Hang zur Anarchie. Da er auch die Funktion des Klassenclowns übernommen hat, gerät er regelmäßig in Konflikte mit Lehrern und Schulleitung.
Ohne ein Ziel
Aus Angst, seinen Status in der Gruppe zu verlieren, lässt er seinen Freund Sprelli im Stich, wenn der von den anderen gequält wird. Es scheint an diesem Ort keine sozialen Regeln zu geben. Die halbe Schule schläft mit einem Mädchen, das "etwas zurückgeblieben" ist. Hier äußert der Autor zum ersten Mal so etwas wie moralische Bedenken.
Nach der Schule fehlt seinem Leben jegliche Struktur; er wird mehr und mehr abhängig von Tabletten, Drogen und Alkohol.
"Er geht zur Arbeit, um den Schein aufrechtzuerhalten, und feiert dann weiter, lacht, trinkt und vögelt. Kein Ziel vor Augen, kein anderer Zweck als einfach zu leben. Eine Verpackung um einen Penis. … Keiner verstand mich, keiner verstand Anarchismus."
Sex wird für ihn zur Obsession.
Nur für Jungs
Gnarr, der später als Musiker erfolgreich geworden ist und es sogar zum Oberbürgermeister von Reykjavík gebracht hat, beschreibt seine Probleme als Jugendlicher schonungslos. Man erfährt detailliert, welche Gedanken er sich um das Aussehen seines Penis macht, welche Ängste er hat, wenn es um Mädchen geht, und wie wichtig es ihm ist, in der Gruppe anerkannt zu sein. Er bleibt dabei immer auf der Ebene des Jugendlichen, für spätere Reflexionen ist kein Raum. Diese Themen mögen für männliche Jugendliche interessant sein, Mädchen fühlen sich vermutlich eher abgestoßen.
Das Ende des Buches bezieht sich nicht auf sein weiteres Leben, sondern zeigt den vollständigen Zusammenbruch. Der Leser erlebt Gnarr im Krankenhaus, gänzlich ohne Erinnerungsvermögen, er erkennt nicht einmal mehr seine Mutter. Ein interessanter Werdegang, der auf verstörende Weise beschrieben wird.
(Iris Knappe)
Jón Gnarr, *1967 in Reykjavík, isländischer Komiker, Musiker, Schriftsteller und Politiker. Von Juni 2010 bis Juni 2014 war er Bürgermeister seiner Heimatstadt.
Jón Gnarr "Der Outlaw“
Aus dem Isländischen von Tina Flecken.
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