Sarah Crossan
Wer ist Edward Moon?
"Sie haben Ed nach Erwachsenenstrafrecht angeklagt, ihn eingesperrt und zum Tode verurteilt, drei Jahre bevor ihn irgendjemand für alt genug hielt, ein Bier in einer Bar zu bestellen.“
Großer Bruder
Joe will die Tage, die ihm noch bleiben, mit seinem Bruder Ed verbringen, der wegen Polizistenmordes im Todestrakt einsitzt. Zehn Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen. Ed war, nachdem der Vater gestorben ist, großer Bruder und Vater zugleich. Die Mutter zieht durch Bars, hat ständig neue Männer und trinkt, kümmert sich nicht um die Kinder. Inzwischen weiß niemand mehr, wo sie sich gerade aufhält. Ed und seine Schwester Angela jobbten, um für den kleinen Bruder Weihnachtsgeschenke zu kaufen und nahmen an den Elterngesprächen in der Schule teil – Ed war es, der den kleinen Joe in seinem Bett schlafen ließ, wenn dieser nachts Angst hatte.
Kurz vor der Hinrichtung
Aber nach 10 Jahren ist da eine große Unsicherheit und Angst vor Fremdheit. Außerdem fragt sich der nun 17-jährige Joe, ob er ganz sicher sein kann, dass Ed unschuldig ist; er will es von ihm selbst hören. Die Besuche im Gefängnis sind begrenzt auf eine Stunde, und zwischen ihnen blockiert eine dicke Scheibe die Kommunikation - wie soll man unter solchen Umständen wieder zueinander finden? Das Gefängnis fühlt sich an "Wie in der Vorhölle, ein Ort, an dem nichts lebt, eine Haltebucht, …" Das Hinrichtungsdatum rückt dennoch immer näher und die Möglichkeiten von Revision oder Begnadigung sind nahezu ausgeschöpft.
"Noch sieben Tage bis zum Hinrichtungstermin … Ein Familienmitglied oder Freund von Ed darf als Zeuge auf der Galerie sitzen."
Die Schwester will ihn nicht allein sterben lassen, was Joe zu der Frage veranlasst: "Sie ist eingeladen, ihm beim Sterben zuzusehen?" Sie bereiten sich auf den möglichen Tod des großen Bruders vor, klammern sich aber gleichzeitig an die Hoffnung auf Begnadigung – ein Auf und Ab der Gefühle - "Es ist die Hoffnung, die dich umbringt."
Zwischen Angst und Zweifel
Der Roman wechselt zwischen Joes Erinnerungen an die Kindheit und den Reflexionen kurz vor der Hinrichtung des Bruders. Es ist ein politisches Buch, das die Frage aufwirft, ob die Todesstrafe für irgendeine Tat angemessen sein kann, und gleichzeitig die Folgen für die Familie beschreibt. Die Geschwister sind mit Ed gefangen, jeder Tag ist von der drohenden Hinrichtung überschattet. Joe fühlt sich schuldig, wenn er auch mal an sich denkt, aber Ed macht ihm klar, dass das falsch ist: "Sei glücklich…, das schuldest du mir, Mann."
Es ist ein sehr anrührendes Buch, weil es auf ergreifende Weise zeigt, wie die Brüder sich wieder annähern und wie sehr Wut, Angst und Zweifel Teil dieses Prozesses sind.
Das Buch ist auch stilistisch ungewöhnlich. Sarah Crossan entscheidet sich gegen einen klassischen Prosatext und schreibt in Versen – damit findet sie einen Tonfall, der all diesen Gefühlen Rechnung trägt. Sie nimmt die Leser mit auf eine Achterbahn der Gefühle zwischen Hoffnung und Trauer.
(Iris Knappe)
Sarah Crossan, *1981in Dublin, aufgewachsen in Irland und England, hat kreatives Schreiben studiert und unterrichtet, irische Autorin von Jugendromanen, mehrfach ausgezeichnet, u.a. auch zweifach für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Sarah Crossan "Wer ist Edward Moon?"
übersetzt aus dem Englischen von Cordula Setsman
Mixtvision 2019, 355 Seiten, 17 Euro
eBook 13,99 Euro
ab 14 Jahren