Sibylle Berg
Nerds retten die Welt
Gespräche mit denen, die es wissen
Sibylle Berg ist nicht unbedingt für eine optimistische Sicht der Welt bekannt, ihre Kritik an unserer Gesellschaft kommt in ihren Büchern und Theaterstücken meist bitterböse und pointiert sarkastisch daher.
Suche nach Erkenntnis
In ihren Interviews zur Weltrettung, die bereits in ihrer Kolumne für das digitale Magazin “Republik” erschienen sind, sucht sie gemeinsam mit Wissenschaftlern nach Erklärungen für die Probleme dieser Welt und nach Lösungen. Es geht Sibylle Berg erklärtermassen um "mehr Wissenschaft für alle", um der "denkfaulen Weltbevölkerung" und dem "Ausmaß an Blödheit" etwas entgegenzusetzen. Das sind keine unterhaltsamen Plaudereien, sondern ernsthafte Fragen an Experten unterschiedlicher Disziplinen – Robotik und Medizin, Onkologie, Systemtheorie, Neurobiologie, Meeresökologie, Politologie, Philosophie, Soziologie, Astrophysik oder Männlichkeitsforschung. Ein breites Spektrum, ergänzt durch eine Vielzahl von QR-Codes mit weiterführende links und Informationen.
Unterhaltsam und informativ
Nicht alle Interviews, die stets mit der Frage beginnen: "Haben Sie sich heute schon um den Zustand der Welt gesorgt?" lesen sich so launig wie das mit Hedwig Richter, Historikerin und Migrationforscherin, die augenzwinkernd zurückfragt:
"Ihre Texte strahlen einen profunden Pessimisumus aus ... Warum reden Intellektuelle so gerne vom Weltuntergang? Weil Kritik und Krise mehr hergeben als Kinderschutz und Konflikteindämmung? Weltweit leben heute halb so viele Menschen in Armut wie noch vor wenigen Jahren: Warum bekümmert das so viele Geistesmenschen so wenig?"
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der sich intensiv mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus auseinandergesetzt hat, beklagt,"dass die Reichweite von Wissenschaft doch sehr gering ist. Das gilt vor allem für missliebige Themen, die zeigen, was schiefläuft."
Von Robert Riener erfahren wir hochinteressante Möglichkeiten, durch Rehabilitationsrobotik Behinderten wieder mehr Lebensqualität zu geben, die Berufsentscheidung von Pathologin Elizabeth Anne Montgomery, die eine “Weltklasse-Pathologin” sein wollte, hat ihr erster Objektträger bestimmt, "ich war fasziniert von der Symphonie der Zellen in ihren koordinierten Bemühungen, das Gewebe zu reparieren."
In Menschensprache übersetzt
0b wachsender Rechtsradikalismus, soziale Überwachung durch ein Punktesystem in China, Diktatur mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz und Menschenrecht auf Privatheit angesichts der Datensammler Google, Facebook & Co., ethische Bedenken beim Einsatz von Robotern, Halbwissen, das durch den massenhaften Zugang zum Internet entsteht, Science Slam als Format, um Leuten in zehn Minuten Wissenschaft näherzubringen - alles hochaktuell. Heiter ist auf den ersten Blick der Vorschlag, sich gedanklich mal als Ameise in der Großstadt fortzubewegen, um sich die Unendlichkeit des Alls vorzustellen. Sibylle Berg fragt stets nach, kommentiert und analysiert, ist keine Stichwortgeberin, sondern eine gut informiert Fragende, die bei komplizierten Antworten gern mal darum bittet, "Das Ganze in Menschensprache zu übersetzen." Und die Rettung der Menschheit bringt sie bei der Bekämpfung von Übergewicht schnell auf den Punkt: "Sie könnten auch einfach weniger Mist essen. Aber das ist im kapitalistischen System nicht vorgesehen."
Optimistische Weltsicht
Trotz der Zerstörung unseres Planeten durch die Spezies Mensch und den wachsenden Widerstand junger Menschen dagegen gibt es zum Glück auch uneingeschränkten Optimismus in diesem wirklich lesenswerten und klugen Buch. Als Sibylle Berg um eine positive Vision für eine Welt bittet, "die wegen des Klimawandels und der damit verbundenen Territorial- und Rohstoffkämpfe vor einer der größten Herausforderungen steht, zitiert die Politologin Emilia Zenzile Roig die indische Schriftstellerin Arundhati Roy:
"Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist unterwegs. An einem ruhigen Tag kann ich sie atmen hören."
(Christiane Schwalbe)
Sibylle Berg, *1962 in Weimar, vielfach ausgezeichnete Autorin von Romanen, Theaterstücken, Hörspielen und Essays, lebt in Zürich
Sibylle Berg "Nerds retten die Welt"
Gespräche mit denen, die es wissen
Kiepenheuer & Witsch 2020, 336 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Sibylle Berg
"Wunderbare Jahre" - Als wir noch die Welt bereisten