James Lee Burke
Regengötter
Zu Beginn ein Mord an neun thailändischen Frauen. Sie wurden von Kugeln aus einer Maschinenpistole durchsiebt und mit einem Bulldozer verscharrt - und es gibt einen Zeugen, auf den bald alle Jagd machen: die Drogenmafia und eine Gruppe von Killern um den Psychopathen Jack Collins, der sich Preacher nennt.
Gegen politische Willkür
Sheriff Hackberry Holland stellt sich ihnen entgegen, ein 70jähriger Mann, der nicht nur seine Gegenspieler an John Wayne erinnert, sich jedoch mit seiner zweiten Frau gegen politische Willkür engagiert hatte und nach ihrem Tod nahe der mexikanischen Grenze die örtliche Polizeidienststelle leitet. Und dem Alkohol abgeschworen hat.
"Ich habe aufgehört, weil ich nicht so enden wollte wie der Rest meiner Sippe."
"Das Trinken liegt also in deiner Familie?"
"Nein, aber das Töten", sagte er. "Indianer, Mexikaner, Banditen, Kaiser Wilhelms Untertanen – jeder, der ihnen vor die Flinte lief, wurde über den Haufen geschossen."
Pseudoreligiöse Moral
Auf die Waffen und das Töten zu verzichten, kann er sich allerdings nicht leisten, denn die Gangster setzen alles daran, den Mord an den illegalen Einwanderern, Frauen, die als Drogenkuriere und Prostituierte missbraucht wurden, zu vertuschen. Alles, was ihnen in die Quere kommt, wird vernichtet, und für den ‘Preacher‘ ist das Töten ein natürlicher Akt, den er mit verquerer pseudoreligiöser Moral auflädt.
Preacher hatte weder die Welt erfunden noch die Regeln gemacht. Die Fähigkeit des Kojoten, das Erdhörnchen aus seinem Loch auszugraben, war fest im Gehirn der Präriewölfe verankert. Eine hundert Millionen Jahre alte Schwemmlandebene, die sich in der Unendlichkeit verlor, enthielt nur ein Artefakt von Bedeutung: die mineralisierten Knochen aller Säugetiere, Reptilien und Vögel, die schon immer genau das taten, was zu ihrem Überleben notwendig war.
Mit Humor und Selbstkritik
Ein Killer mit selbst gebasteltem Wertesystem, das dem Roman zu gänzlich unerwarteten Wendungen verhilft und den Frauen eine besondere Rolle einräumt. James Lee Burke erforscht mit seinen Protagonisten die moralischen Widersprüchlichkeiten der amerikanischen Gesellschaft nicht nur im Niemandsland an der Grenze; zwar sind hier die Farben flirrender, die Natur großartiger, aber die Menschen sehen sich den gleichen Entscheidungen ausgesetzt wie überall. Und Hackberry Holland hat die Gefangenschaft und die Folter, die er als junger Soldat in Nordkorea erlebte, nicht vergessen.
Zugleich zeichnet Burke ihn liebevoll und differenziert als Mann mit Selbstkritik und Humor.
"Wir gehören nicht in die Zeit, in der wir leben", sagte Hackberry. Kurz darauf schämte er sich für diese von Größenwahn und Selbstbeweihräucherung zeugende Äußerung. Gab es denn einen größeren Narren als den, der sich selbst für den übersehenen Gilgamesch seiner Zeit hielt?
Literarische Anspielungen
Auch mit Shakespeares Dramen ist der Autor vertraut, und der Kampf mit den Drahtziehern des Massakers vor dem gewaltigen Panorama der Grenzregion ist mit literarischen Anspielungen gespickt, die das Lesevergnügen noch erhöhen. Und die ‘Regengötter‘ haben den Menschen, den Gerechten und den Bösen, längst den Rücken gekehrt und werden nicht wieder zurückkommen: "Warum sollten sie? Wir glauben doch eh nicht mehr an sie."
(Lore Kleinert)
James Lee Burke *1936 in Louisiana, US-amerikanischer Krimiautor
James Lee Burke "Regengötter"
"Rain Gods" übersetzt aus dem Amerikanischen von Daniel Müller
Thriller, Heyne Hardcore 2014, 672 Seiten, 16,99 Euro
eBook 13,99 Euro