Andreas Pflüger
Geblendet
"Budo stellt uns die Frage, wer wir sind. Die Antwort ist für jeden eine andere. Man muss sie ganz für sich allein suchen." "Sie wollen sagen: Es geht nicht ums Kämpfen?" "Man besiegt nicht den Gegner, sondern sich selbst."
Perfekte Kämpferin
Die blinde Elitepolizistin Jenny Aaron hat sich im Goju-Ryu ihres Budo-Meisters Kisho in den Blue Ridge Mountains Virginias vom letzten Einsatz erholt (2. Band "Niemals") und lässt sich auf eine Therapie ein, von deren Erfolg sie sich die Wiedergewinnung ihres Augenlichts verspricht. Doch die Hinweise ihres Therapeuten Professor Reimer auf ihren Vater, damals Chef der GSG9, der sie zur perfekten Kämpferin ausgebildet hat, wehrt sie zunächst ab.
"Aaron hatte die Wahrheit am sichersten Ort der Welt versteckt, in der tiefsten Finsternis, dem Orkus der Verzweiflung, dort, wo auch sie sich niemals hingewagt hat."
Die Sieben Samurai
Doch viel Zeit zur Innensicht bleibt ihr nicht: Ihre 'Abteilung', eine geheime Sonderabteilung mit dem Auftrag, den Innensenator als korrupten Verräter zu entlarven, wird angegriffen und um ein Haar ausgelöscht, und Aaron selbst muss sich entscheiden: Macht sie sich unter Einsatz ihrer außerordentlichen Fähigkeiten, die sie als Blinde entwickeln musste, mit den sechs überlebenden Männern auf den Weg nach Barcelona, um mit der weltweit vernetzten Killer-Elite abzurechnen - oder hält sie an der Wiederherstellung ihres Sehvermögens fest und verliert ihre besondere Kraft? Ihr Budo-Meister bleibt ihr dabei nah:
"Ich habe dir von den Männern erzählt, die zu meiner Gemeinschaft gehören. Sie sind alle tot. Bis auf sechs. Wir werden nicht ruhen, bis wir die Frau gefunden haben." Kisho schweigt lange. "Alle bis auf sechs. Und dich. Also seid ihr jetzt die sieben Samurai."
Einfallsreiche Sprache
Das Wissen um die Sieben Samurai, Helden der Kinogeschichte, von denen nur zwei überlebten, sorgt in Andreas Pflügers außergewöhnlichem Thriller für zusätzliche Spannung, und das ist nur einer von vielen literarischen, filmischen oder künstlerischen Bezügen, die er geschickt und mit ausufernder Phantasie in seinen Plot eingebaut hat. Mit "kultureller Ikonografie Marimba (zu) spielen, ist ein Spaß", der seine Trilogie in höchstem Maße bereichert hat, ebenso wie psychologisches Einfühlungsvermögen und eine der jeweiligen Situation angemessene und höchst einfallsreiche Sprache.
"Sie hätte stolz auf sich sein müssen und konnte es nicht…Sie hätte glücklich sein müssen und war es nicht. Es kam ihr vor, als hätte jemand ihr Spiegelbild gestohlen und damit Gewalt über ihr Leben und ihren Tod."
Raffinierte Dramaturgie
Das Spiegelmotiv spielt eine besondere Rolle, denn Jenny Aarons wichtigste Gegnerin ist diesmal Malin, eine Frau, deren Leben viele Ähnlichkeiten mit ihrem aufweist, ein dunkler Spiegel allerdings, denn die Auftragsmörderin Malin hat einen ganz anderen Weg gewählt. Die Nähe zu den Abgründen in sich selbst und der Wunsch, nicht länger verblendet und blind zu sein, erweisen sich als starke und neue Anziehungskraft, die der Thrillerhandlung ungewohnte Wendungen abverlangt. Bei aller präzisen Kenntnis der Gewalt, ihrer Auslöser, ihrer Finessen und ihrer Faszination ist sie in Andreas Pflügers Trilogie niemals Selbstzweck, sondern immer seiner raffinierten Dramaturgie untergeordnet. Die Männer und Frauen um seine Heldin herum sind mit oft nur wenigen Strichen ebenso sorgfältig gezeichnet wie sie, zum Mitgefühl ebenso fähig wie zum Schlimmsten, und die Verknüpfungen von Politik und Korruption unterlegen diesen Ausnahmethriller ebenso wie seine beiden Vorgänger mit düsterer Melancholie. Aber, so Jenny Aarons langjähriger Gefährte Pawlik:
"Wir sind hier, um zu beweisen, dass wir mehr sind als die Summe unserer Ängste."
(Lore Kleinert)
Andreas Pflüger, *1957 in Thüringen, aufgewachsen im Saarland, Autor von Theaterstücken, Drehbüchern für Kino- und Fernsehfilme, Hörspielen und Romanen, lebt in Berlin
Andreas Pflüger "Geblendet"
Thriller, Suhrkamp Verlag 2019, 509 Seiten 22 Euro
eBook 18,99 Euro, AudioCD 17,49 Euro
Weiterer Buchtipp zu Andreas Pflüger
"Herzschlagkino" – 77 Filme fürs Leben