Stephan Schmidt
Die Spiele
Mozambique 1994 – bei seinem ersten Besuch in Mozambique lernt der Journalist Thomas Gärtner einen der Madgermanes kennen, der Vertragsarbeiter aus der zusammengebrochenen DDR, die kurz vor der Wiedervereinigung abgeschoben und um einen großen Teil ihres Lohns betrogen wurden.
Aufregendes Spiel
Er spürt, dass mit dieser Geschichte etwas Neues für ihn beginnt,
„das erste Treffen, an das er eines Tages zurückdenken und sich fragen würde, wie sein Leben anderenfalls verlaufen wäre. Ohne den rätselhaften Mann neben ihm.“
Siebenundzwanzig Jahre später wird sich diese Frage wieder stellen, diesmal in Shanghai. Charles Murandi wird in seiner Hotelsuite ermordet aufgefunden, als IOC-Funktionär seines Landes soll er die Bewerbung afrikanischer Länder um die Olympischen Spiele 2031 auf dieser internationalen Konferenzunter Dach und Fach bringen, bekannt „für seinen Charme, seine Bestechlichkeit und ausgesprochen gute Kontakte zur Kommunistischen Partei Chinas.“
Thomas Gärtner, der, von Überwachungskameras gefilmt, mit einem Stapel Papiere aus Murandis Hotelzimmer kommt, kann sich an nichts erinnern und wird verhaftet. Ein aufregendes Spiel beginnt: In vielen Rückblenden, immer wieder geschickt mit dem Geschehen rund um den Mord verknüpft, entwickelt Stephan Schmidts Roman eine rasante Dynamik. Gärtners Interesse wird rasch offensichtlich, er will durch Murandi endlich an das zu kommen, das seiner geplanten Afrika-Story noch fehlte, “nämlich Beweise dafür, dass die Olympia-Bewerbung vor allem dazu diente, China immer größere Stücke des Kontinents zuzuschanzen“, also um ein großes geopolitisches Poker um Rohstoffe und Macht.
Willkür der Partei
In der Konsularbeamtin Lena Hechfellner erhofft er sich eine Verbündete, die ihm helfen soll. Vor Jahren waren sie ein Paar, jetzt hat sie eine realistische Einschätzung der Willkür der Partei, der alle ausgeliefert sind, während der Druck in der chinesischen Gesellschaft steigt. Und die Vergangenheit spielt auch in ihrem Leben eine große Rolle und wird von Stephan Schmidt nach und nach offengelegt, wie Wunden, die nicht wirklich heilen konnten. Ihr Vater war damals, nach der Wende, von Murandi und anderen Vertragsarbeitern in Mozambique entführt worden, um die deutsche Regierung zu zwingen, den Lohn, der vom mozambikanischen Staat eingehalten worden war, freizupressen. Doch niemand kümmerte sich darum, ihr Vater starb, ihre Mutter kehrte verzweifelt nach Deutschland zurück. Jahre später war sie mit Gärtner in Mozambique, um Genaueres zu erfahren – vergeblich.
„Im Bann einer vergangenen Katastrophe zu leben heißt aber, einem fortdauernden Zwang zu unterliegen. Als sie Murandi schließlich in Maputo gegenübersaß, war er bereits ein anderer geworden. Wohlhabend, selbstbewusst, auf leicht brutale Weise charmant.“
Gutes Gewissen
Jetzt lässt sie sich erneut verstricken, - um die Wahrheit zu erfahren, um Gärtner zu helfen, und sie gerät schließlich selbst ins Visier des chinesischen Geheimdienstes. Yaya, ihre chinesische Hausangestellte und vermeintliche Freundin ist selbst Opfer korrupter Staatsschutzmitarbeiter und verfolgt ihre eigenen Interessen.
„Ausländer waren außerdem merkwürdig wankelmütige Menschen, gleichzeitig herrschsüchtig und schwach, unduldsam und voller Skrupel. Unbedingt wollen sie auf der richtigen Seite stehen, aber es musste die sein, auf der sie schon ihr ganzes Leben gestanden hatten. Ihren Reichtum teilten sie gerne, weil es ihnen ein gutes Gewissen verschaffte.“
Stephan Schmidt, der als Stephan Thome bereits fünf erfolgreiche Romane veröffentlich hat, lebt seit Jahren in Taipeh. Kenntnisreich und mit Feingefühl fügt er auch die chinesischen Mitspieler in das Spiel um „die Spiele“ und die Verstrickungen der Europäer und Afrikaner ein, und das oft auch mit bissigem Humor. Besonders der durchaus fähige Kommissar Luo zeichnet sich durch einen nüchternen Blick auf die Europäer und die Mauern des Schweigens im eigenen Land gleichermaßen aus. Ein spannender, vielschichtiger Kriminalroman, der chinesische Weltpolitik mit den Irrtümern und Illusionen vieler Europäer verbindet.
„Nichts entgeht dem aufmerksamen Blick der Partei. Alles kann zum Strick werden, an dem sie dich eines Tages aufhängt.“
(Lore Kleinert)
Stephan Schmidt, *1972 in Biedenkopf/Hessen, Studium der Philosophie, Autor von fünf Romanen, davon drei auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis, lebt in Taipeh, Taiwan
Stephan Schmidt „Die Spiele“
Kriminalroman, Dumont Verlag 2024, 416 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro