Tana French
Gefrorener Schrei
Zum Glück lassen sich Leser ja nicht von albernen Titeln abhalten, sonst sähe es für Tana Frenchs neuen Roman schlecht aus. Das wird nicht so sein, denn ihre bisherigen fünf Romane waren Bestseller und hochspannende, toll komponierte Polizeiromane rund um Dublins Mordkommission.
Unter Druck
Mit ihren neuen Buch, dessen englischer Titel mit "Der Eindringling" übersetzt werden kann, hat sie es geschafft, sich wieder zu steigern. Ein Eindringling hat die junge, hübsche Aislinn Murray in ihrem Haus niedergeschlagen, während sie ein Essen für zwei kocht, und die Detectives Conway und Moran, ein Team schon im letzten Buch Frenchs (Geheimer Ort, 2015), sollen klären, wer ihren Tod verschuldete. War es eine der üblichen Beziehungstaten? Hat der schüchterne und phantasievolle Buchhändler, den sie erst kürzlich kennenlernte, eine dunkle Seite? Im Morddezernat werden sie unter Druck gesetzt, den Fall möglichst rasch und erfolgreich abzuschließen, doch das schürt Antoinette Conways Misstrauen, denn seit einiger Zeit wird sie von Kollegen gemobbt:
"Ich weiß nicht, ob das völlig bescheuerte Paranoia ist oder die verdammt offensichtliche Realität, die mir ins Gesicht schlägt. Zwei Jahre lang habe ich ständig über die Schulter geschaut, mich bei jedem Schritt und jedem Wort in Acht genommen, jeden Tag von morgens bis abends im Kampfmodus verbracht: Meine Instinkte sind zu qualmenden Fetzen verbrannt."
Gute Polizistin
Auch sie fühlt sich als eine Art Eindringling in der Welt der Männerkumpelei, denn als Frau und noch dazu mit dunklerer Haut sieht sie sich Demütigungen ausgesetzt, die aus dem Arsenal von Donald Trump stammen könnten. Nur ihr junger Kollege Stephen Moran hält zu ihr, doch im Laufe der Ermittlungen droht ihre Paranoia ihren Blick zu vernebeln. Tana French erzählt den Fortgang der Ermittlungen minutiös aus der Sicht dieser toughen und ziemlich einsamen Frau, die weiß, dass sie eine gute Polizistin ist, aber allmählich den Boden unter den Füßen verliert:
"Mir ist Geld nicht so wichtig, dass ich mich dafür verkaufen würde, und mir ist auch sonst nichts so wichtig, dass ich mich mit irgendeinem Klappspaten zusammentun würde, der bereits bewiesen hat, dass man ihm nicht trauen kann…Ich liebe diese Jagd, durch und durch. Mir ist völlig egal, ob mich das zu einem schlechten Menschen macht."
Hautnah dabei
Beherzt setzt sie sich zusammen mit ihrem Kollegen auf die Spur eines möglichen Bandenverbrechens, bis sie schließlich erkennen muss, dass die Tote nicht nur ein gestyltes Blondchen war, sondern auf der Suche nach ihrem verschwundenen Vater große Risiken einging. Und das Bild der anderen Kollegen verändert sich unmerklich, immer wieder, in den Augen der Ermittlerin und in denen der Leser, die hautnah an allen Schritten beteiligt werden, zugleich aber die Spannung miterleben, die sich auch aus ihren Irrtümern ergibt, denn Antoinette Conway ist sicher,
"…einen Einzeltäter kannst du besiegen. Aber dein eigenen Dezernat besiegen, das ist etwas ganz anderes."
Doch geht es darum wirklich? Wie alle Romane von Tana French hat auch dieser eine Unterströmung, ein Thema, das die Geschichten in einem anderen Licht erscheinen lassen, und das ist die Suche von Töchtern nach ihren Vätern. Unter diesem Blickwinkel müssen all die Geschichten, die der Fall aufrollt und neu anstößt, anders betrachtet werden, bis schließlich Antoinette Conway ihren eigenen Verlust durchschauen kann und erkennt, worin das eigentliche Rätsel besteht. In den Szenen, in denen Verdächtige befragt werden, baut French diese psychologische Spannung virtuos auf und lockt die Leser immer tiefer ins Geflecht unterdrückter Emotionen, verborgener Motive und unmerklich bröckelnder Fassaden.
Trister Alltag
Besonders reizvoll ist der Einblick in die Arbeit der Polizeibeamten, die sich selbst immer tiefer in die Geschichten verstricken lassen, denen sie begegnen, und deren privates Leben oft vom tristen Alltag des Kampfs gegen Verbrechen aufgefressen wird.
"Ich dachte, ich würde den Rest meines Lebens kennen, als hätte ich ihn schon hinter mir. Alle wirklichen Entscheidungen hatte ich schon getroffen, bevor ich fünfundzwanzig wurde – der Job, die Frau, die Wohngegend, Kinder. Ich konnte nur noch dasitzen und zusehen, wie sich alles abspulte."
Was nicht unbedingt heißt, dass sie der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen, sondern ebenso wie jeder andere gefährdet sind, sich zu verstricken oder zynisch und korrupt zu werden. Und wie immer klären Tana Frenchs Ermittler nicht nur Verbrechen auf, sondern erkunden Geheimnisse, die niemals bis ins Letzte gelüftet werden können.
(Lore Kleinert)
Tana French *1973 in Vermont / USA , wuchs in Irland, Italien und Malawi auf, sie ist Schaupielerin in Theater, Film und Fernsehen und die erfolgreichste junge Krimi-Autorin Irlands, sie lebt in Dublin
Tana French "Gefrorener Schrei"
"The Trespasser" übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Roman, Scherz Verlag 2016, 656 Seiten, 16,99 EUR
eBook 14,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Tana French
"Geheimer Ort"