Ann Petry
The Street
Die junge, attraktive Lutie, eine Schwarze, will ihrem achtjährigen Sohn Bubb eine bessere Zukunft bieten als das Leben in einer engen Dachgeschosswohnung in einem billigen Mietshaus in Harlem, in dem sie nach der Trennung von ihrem arbeitslosen, gewalttätigen, untreuen Mann gelandet ist.
Als Schwarze verachtet
Lutie hat nach Abschluss der High School ihren Jugendfreund Jim geheiratet und ihren Sohn Bubb bekommen. Jim verliert seinen Job, aber als Schwarzer findet er keinen neuen, wird alkoholabhängig und gewalttätig. Jetzt muss Lutie die Familie ernähren, sie wird Haushaltshilfe und Kindermädchen bei einer wohlhabenden weißen Familie auf dem Land. Sie kümmert sich um Little Henry, den Sohn der Familie, während sie ihr eigenes Kind, das beim Vater bleiben muss, nur alle zwei Monate sehen kann. Bei den privilegierten Weißen erlebt sie das amerikanische Erfolgsmodell, so wie es Benjamin Franklin dargestellt hat:
"Der Glaube, dass jedermann reich werden könnte, wenn er wollte und hart genug dafür arbeitete und alles genau genug bedachte ... "
Und so wollte es Lutie auch schaffen – viel arbeiten und viel Geld verdienen für sich und Bubb. Sie musste dort aber auch erleben, dass man sie als junge dunkelhäutige Frau gleich als "Flittchen" einstufte, wovor ihre Großmutter sie schon gewarnt hatte:
"Lutie, Baby, lass bloß nie einen Weißen ran. Die geben bei schwarzen Frauen einfach keine Ruhe. Als würde es sie ganz furchtbar jucken, mal mit einer zu schlafen. Lass die ja nicht an dich ran."
Hass auf die Weißen
Zuhause betrügt ihr Mann sie mit einer anderen Frau, sie kündigt ihren Job, zieht mit Bubb zu ihrem Vater, der aber mit Frauenbekanntschaften und verbotener Alkoholbrennerei kein Vorbild für ihren Sohn sein kann. Schließlich landet sie in der 116th Street. Der Hausmeister, ein abstoßender Typ, stellt ihr nach, macht sich an ihren Sohn heran, um in ihre Nähe zu kommen, versucht sie zu vergewaltigen. Sie lernt Boot, einen schwarzen Bandleader, kennen, der ihr eine Karriere als Sängerin verspricht - aber nicht ohne 'Gegenleistung'. Seine Vergangenheit als Servicekraft in Pullman Eisenbahnwaggons steckt ihm noch immer in den Knochen.
"Hätte ich nicht den Job bei Ihnen, würde ich im Pullman Betten beziehen. Und jeden Tag von neuem eingebläut kriegen, dass ich nicht dazugehöre. Nicht mal in dem Land, in dem ich geboren bin. Immerzu 'Yes Sir', 'No Sir' sagen, bis mir die Kehle brennt. Bis ich mir vorkomme wie der letzte Dreck. Hier drinnen - er hatte sich auf die Brust geschlagen - sitzt der Hass auf die Weißen, tief und brennend."
Auch Junto, weißer Barbesitzer und Boss von Boot, ist scharf auf Lutie. Sie aber hat nur noch eine Karriere als Sängerin in seiner Bar im Sinn, um ordentlich Geld zu verdienen, aus der deprimierenden Wohngegend herauszukommen und Bubb eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Aber ihr Leben und damit die Geschichte dieses Romans endet tragisch.
Beklemmend und zornig
Die 116th Street mit heruntergekommenen Mietshäusern in Harlem ist nicht nur Kulisse dieses Romans, sondern auch Metapher für Rassismus und soziale Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung – Thema dieses eindringlichen, beklemmenden und zornigen Romans, das Ann Petry die Leser nahezu hautnah spüren lässt. Sie schildert die Hintergründe des Rassismus, und entlarvt bösartige Vorurteile der Weißen, ist dabei kritisch, ohne belehrend zu sein, und zeichnet ihre Charaktere eindrucksvoll und glaubwürdig.
Die Themen dieses Buches – Rassismus, Sexismus und Diskriminierung der Schwarzen – sind unverändert aktuell, und man vergisst bei der Lektüre vollkommen, dass Ann Petry diesen Roman - Debütroman einer Afroamerikanerin - schon 1946 veröffentlicht hat, mit großem Erfolg und einer Auflage von 1,5 Millionen.
(Peter Ehrenfried)
Ann Petry, *1908 in Old Saybrook/Connecticut, gestorben 1997, war Pharmazeutin, Journalistin, Lehrerin und Gemeindeaktivistin
Ann Petry "THE STREET"
DIE STRASSE
aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Uda Strätling
mit einem Nachwort von Tayari Jones
Roman, Nagel & Kimche Verlag 2020, 384 Seiten, 24 Euro
eBook 17,99 Euro, CDs 17,45 Euro