Elizabeth Gaskell
Frauen und Töchter
Die Engländerin Mrs. Elizabeth Gaskell (1810-1865) machte - als sozialreformerisch gesinnte Gattin eines Pfarrers aus Manchester - als eine der ersten Schriftstellerinnen die Lage der Arbeiter in der Frühphase der industriellen Revolution zum Romanthema ("Mary Barton", "North and South"). Sie war im 19. Jahrhundert jedoch vor allem wegen ihrer Biographie über ihre Freundin und Schriftstellerkollegin Charlotte Brontë bekannt und berühmt.
Leben auf dem Land
Hierzulande weniger bekannt ist Mrs Gaskell als freundlich-ironische Porträtistin der ländlichen Mittel- und Oberschicht. Ihr letztes Buch, Frauen und Töchter, das (wie damals üblich) als Fortsetzungsroman erschien, erzählt vom Leben in einer ländlichen Gemeinde um 1825 und liefert ein liebenswertes, detailgenaues und sehr komisches Bild der "besseren" Kreise dieser Zeit.
Enge Mädchenfreundschaft
Im Mittelpunkt des Romans steht die junge Molly. Sie ist die Tochter des Landarztes Dr. Gibson aus dem kleinen Ort Hollingford. Molly bekommt im Alter von 16 Jahren plötzlich und unvermutet eine Stiefmutter: Ihr vor vielen Jahren verwitweter Papa heiratet eine gewisse Mrs Kirkpatrick, die ihrerseits eine Tochter in Mollys Alter, Cynthia, ins Haus bringt. Beide Mädchen freunden sich eng miteinander an, könnten aber vom Wesen her unterschiedlicher nicht sein.
Während Molly zwar recht hübsch, aber eher bescheiden und unscheinbar ist und treu an ihrem Vater hängt, ist Cynthia eine strahlende Schönheit, die gern flirtet und, so wird es sich im Laufe der Geschichte herausstellen, allerhand Männern den Kopf verdrehen kann.
Die neue Mrs Gibson dagegen sieht sich durch ihre Vermählung vor allem finanziell saniert. Gesellschaftlich strebt sie nach Höherem: wichtig ist ihr vor allem, dass sie vor den bürgerlichen Dorfbewohnern mit ihren guten Kontakten zum örtlichen Landadel angeben kann. In diesen Kreisen hofft sie auch einen passenden Ehemann für Cynthia zu finden.
Mütterliches Bemühen
An jungen Männern in der Umgebung mangelt es nicht. Da sind geeignete Kandidaten - und weniger geeignete: der junge Lord Hollingford, der Verwalter Mr Preston und vor allem die beiden Söhne des alten Hamley auf Hamley, eines Gutsbesitzers vom alten Schlag. Osborne, der ältere der beiden Söhne, trägt ein schwieriges Geheimnis mit sich herum, von dem die junge Molly eines Tages Kenntnis erhält, aber sie muss sich verpflichten, es niemandem zu verraten.
Mrs Gibson wiederum möchte liebend gerne ihre Tochter gut verheiraten. Wer käme da gelegener als Osborne Hamley, der Erbe des Gutes? Und Mrs Gibson tut ihr Möglichstes, aber dann kommt doch alles anders als geplant, und das Geld, man kann es sich denken, spielt eine erhebliche Rolle dabei.
Pointierte Gesellschaftsatire
Man möge sich nun nicht täuschen: Auch wenn es - wie bei Jane Austen - hier auf 800 spannend-amüsanten Seiten immer um die Frage geht, wer am Ende wen kriegt - dieser Roman ist das ganze Gegenteil einer Seifenoper. Mrs Gaskell entfaltet einen gesellschaftlichen Mikrokosmos, in dem sie pointierte Satire mit fein dosierter Gesellschaftskritik verknüpft. Sie malt ein Porträt der Frau im viktorianischen England und bringt behutsam kleine Vorschläge zur Verbesserung ihrer sozialen Situation an: Ein wenig mehr Bildung darf schon sein bei den jungen Damen, und das Herz sollte bei der Partnerwahl durchaus mitsprechen dürfen, selbst wenn auch für Mrs Gaskells Figuren eine "gute Partie" höchst erstrebenswert bleibt (wie eben auch bei Jane Austen).
Was die Lektüre zum Hochgenuss macht, ist die feine Ironie, mit der die Erzählerin Distanz zu ihren Figuren hält. Ein wenig Spott muss schon sein, und der ergießt sich - in Abstufungen von milde bis deutlich - vor allem über die differenziert gestalteten (Neben-)figuren. Da gibt es die beiden etwas selbstgerechten, aber doch liebenswerten alten Jungfern im Dorf, die Misses Browning. Da ist Lady Cumnor, die Herrin auf Cumnor Hall, mit ihrem trampeligen Adelsstolz. Da ist der cholerische Gutsbesitzer Mr Hamley, der die politischen Neuerungen seiner Tage so gar nicht vertragen kann. Da ist Mrs Gibson, so eitel ist wie dümmlich, so intrigant wie doch auch wieder freundlich-bemüht - und noch einige mehr.
Klassiker zu entdecken
Wie Molly, die bürgerliche Arzttochter, inmitten dieser kleinen Komödie der Irrungen erwachsen wird und herausfindet, was sie selbst im Leben will, das schildert Elizabeth Gaskell so psychologisch klug und dabei so spannend und humorvoll, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.
Ein Vergleich zwischen Autoren oder Autorinnen hinkt bekanntlich immer - hier ist er angebracht: Die Anklänge an Jane Austens Art zu schreiben sind bei Mrs Gaskell unverkennbar. Wer Austen mag, wird auch Gaskell liebend gern lesen. Ein Klassiker aus dem viktorianischen England ist hier zu entdecken. Ich wünsche viel Vergnügen!
(Gabi von Alemann)
Elizabeth Gaskell "Frauen und Töchter"
Manesse Verlag 1997, Neuauflage, 224 Seiten, 26,90 Euro