Marente de Moor
Aus dem Licht
Die Geschichte des französischen Filmpioniers und Erfinders Louis Aimé Augustin Le Prince bietet eine großartige Vorlage für einen Roman: Am 16. September 1890 stieg er in einen Zug nach Paris, um sein Patent anzumelden – und wurde nie mehr gesehen.
Tiefe Selbstzweifel
Marente de Moor folgt dem Mann, den sie Valery Barre nennt, in die Welt des gewaltigen technischen Umbruchs, die Zeit der Erfindungen und Patente auf der Schwelle zum 20. Jahrhunderts. Barre will aus seinem Leben aussteigen, denn er fühlt sich bedroht: Nicht nur von Thomas Alva Edison, dem "Verdunkler", der sich, so die Geschichte, tatsächlich vieler Erfindungen anderer bemächtigte, möglicherweise auch der Bildermaschine des Louis Le Prince. In den beiden Kapiteln aus seiner Perspektive sind es vor allem die tiefen Selbstzweifel und die Sorge um die Zukunft einer mechanisierten Menschheit, die den Erfinder umtreiben:
"Verglichen mit seinen Jugenderinnerungen erschien Barre seine heutige Situation abgenutzt und unsympathisch. Jeder Gegenstand, jedes Wort, jedes Lebensmittel musste unbedingt in Serie erscheinen, als Duplikat, Faksimile. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich das Leben mit identischen Gegenständen und Markenzeichen gefüllt, und alle sollten sie kennen, diese besserwisserischen Tanten und breit lächelnden Doktoren mit ihren Hustensäften in riesiger Ausfertigung, die wie Götter zu jedermanns Leben gehörten."
Stimmen aus dem Jenseits
Marente de Moor erschließt mit ihrem feingliedrigen Roman eine Zeit, als Scharlatanerie und Obskurantismus noch eng mit dem wissenschaftlichen Fortschritt verbunden waren. Die Wissenschaftler, die tagsüber dem Fortschritt huldigten, fanden sich nachts bei Medien und Wahrsagerinnen ein, um Stimmen aus dem Jenseits zu lauschen. Zu ungewiss erschien das Fundament der Vernunft, zu mächtig die Furcht. Auch Barre gerät mit seinem Freund und Kollegen Roussin bei einem letzten Besuch vor seinem Abtauchen in diese Szenerie, was seinen Entschluss, sich von seinem Leben als Erfinder zu entfernen, bestärkt. Roussin erscheint als realistischer Gegenpart, dessen Interesse eher dem Sinnlichen als dem Übersinnlichen oder einem Sinn überhaupt gilt:
"Aber das Leben war doch ein Büffet, dachte er, ein stets von Neuem gefülltes Büfett. Dennoch werden die Menschen nervös, der eine lädt sich mehr auf, als er essen kann, der Nächste lässt anderen den Vortritt, und am Ende fühlen sich alle benachteiligt, weil sie vor lauter Eile das Falsche genommen, weil andere mehr abbekommen haben, dabei musste man ruhig bleiben, das hatte er erkannt; sich in Ruhe aussuchen, was man wirklich wollte, und sich vor allem Zeit lassen."
Spiel mit der Phantasie
Geschickt baut Marente de Moor Bezüge zum gegenwärtigen, neuerlichen Umbruch durch die digitale Revolution und die neuen Medien in ihren Roman ein, ohne dass sie die Geschichte Barres und seines Sohns Guy, Edisons und seiner Frau damit überfrachtet, sondern sie spielt subtil mit der Phantasie der Leser. Barre fürchtet nicht nur Edisons Konkurrenz und Erfindungswahn, sondern sinniert auf seinem Weg ins Abseits über den Verlust der Erinnerung, wenn Maschinen das Gedächtnis übernehmen. Auch die Sorge, dass sich durch elektromagnetische Strahlung das ganze Universum mit Wörtern füllt und darüber die Wirklichkeit aus den Augen verloren wird, ist ein dezenter Vorgriff auf eine andere neue Zeit.
Treffende Bilder
Die beiden mit Barres Weg verbundenen Handlungsstränge bereichern den Roman in unterschiedlicher Weise: Die Suche seines Sohns nach den Aufzeichnungen des verschwundenen Vaters, die ihn 1902 auch in Edisons Haus führt, lädt den Roman mit Spannung auf, während Mina Edisons Perspektive ihr "Dasein als Schatten" des berühmten Erfinders, des "unentwegt tätigen Zauberers" ironisch beleuchtet.
„Mein Mann meint es gut mit der Menschheit. Wenn es nach ihm ginge, würden Vulkanausbrüche die Sahara fruchtbar machen und der Nordpol komplett schmelzen, damit wir noch mehr Fisch fangen können. Und niemand käme auf die Idee, Krieg zu führen, denn alle wären damit beschäftigt, etwas zu erfinden. Zum Glück muss er das nicht mehr miterleben, eine solche Konkurrenz wäre unerträglich für ihn."
Sie sorge für ihn "wie der ägyptische Regenpfeifer, der dem Nilkrokodil die Blutsauger aus dem Maul pult" - treffende Bilder wie dieses sind eine große Stärke dieses klugen, originellen Romans über eine Zeit, als sich die menschliche Wahrnehmung und Empfindungsfähigkeit grundlegend veränderte.
(Lore Kleinert)
Marente de Moor, *1972 in Den Haag, niederländische Slawistin, Journalistin und Schriftstellerin
Marente de Moor "Aus dem Licht"
aus dem Niederländischen übersetzt von Bettina Bach
Roman, Hanser Verlag München 2019, 320 Seiten, 23 Euro
eBook 16,99 Euro