Stephen Moss
Über die Schwalbe
„Eine Schwalbe macht macht noch keinen Sommer” ist ein - buchstäblich geflügeltes - Sprichwort, das der antike griechische Fabeldichter Äsop im 6. Jahrhundert v. Chr. erfunden haben soll.
Weltenbummler
Als Urheber gilt auch Aristoteles, obwohl der meinte, eine Schwalbe mache keinen Frühling, die Jahreszeit also, in der die faszinierenden Zugvögel wieder in unseren Breiten auftauchen, weil hier Wärme und langes Tageslicht locken. Unseren kalten Winter verbringen die pfeilschnellen Vögel mit dem tiefblauen Gefieder, dem weißen Bauch und dem rostroten Fleck an der Kehle üblicherweise auf der südlichen Halbkugel.
„Die Schwalbe gehört in der Tat zu den wenigen glücklichen Lebewesen, die einen immerwährenden Frühling und Sommer erleben – und niemals richtigen Winter.”
Sie sind wahre Weltenbummler. Während seiner zahlreichen Vogelbeobachtungsreisen im Ausland begegneten sie dem englischen Naturhistoriker Stephen Moss tatsächlich überall - in Nordindien ebenso wie in Florida, auf den Balearen, in Jordanien, Marokko und Afrika. Über das offene Meer fliegen sie in ihre Winterquartiere in Mittel- und Südamerika, „wobei ein paar besonders zähe Schwalben es sogar bis nach Feuerland schaffen.”
Effiziente Flieger
Um hin und zurück zu kommen, legen sie, offenbar nimmermüde, 10 000 Kilometer und mehr zurück – immerhin zweimal im Jahr. Warum ihr innerer Kompass sie unbeirrt von Norden nach Süden über die unwirtliche Wüse Sahara fliegen läßt, weiß man nicht genau. Aber – klärt Moss uns auf – die Sahara war früher kein Meer aus Sand und Stein, sondern ein Gras- und Seenland, Eldorado also für Insekten und ihre Jäger, die Schwalben. Sie sind in ihrer Stromlinienform äußerst effiziente Flieger, dafür sorgen die schmalen Flügel und der der gegabelte Schwanz mit den langen Schwanzfedern. Die übrigens die Schwalbenweibchen bei der Partnersuche sehr genau in Augenschein nehmen, zeugen sie doch von Wendigkeit. Und die ist wichtig beim Insektenfang im Flug. Die Weibchen achten aber auch auf den Gesang, das charakteristische Zwitschern bevorzugter Männchen. Apropos Zwitschern: Die Schwalbe wird zu Unrecht mit dem Mauersegler verwechselt, „der mit den Schwalben ungefähr so nah verwandt ist wie Eulen mit Turmfalken – nämlich überhaupt nicht.” Er hat einen deutlich gedrungeneren Körperbau, außerdem zwitschern Mauersegler nicht, sondern sie schreien.
Am liebsten unterm Dach
Schwalben, so erzählt uns Stephen Moss in seinem überaus kurzweiligen Buch, entwickelten sich zu rund achtzig verschiedenen Arten und
„tauchten vor mindestens 50 Millionen Jahren in Afrika oder Asien auf ... gehören zu den erfolgreichsten Vogelfamilien der Welt und verdanken dies hauptsächlich ihrer Ernährung. Fluginsekten finden sich überall auf der Erde ...”
Hierzulande sind es vor allem Rauch- und Mehlschwalben, die schon immer gern in der Nähe des Menschen genistet haben. Auf Bauernhöfen und in Ställen, wo Pferde und Kühe ordentlich viel kleines Getier anziehen, möglichst weit oben unterm Dach, in einer Mauernische oder auf dem Dachbalken kleben ihre Nester. Gern kommen die Schwalben wieder, um es sich im alten Nest gemütlich zu machen. Treffen sie auf Hausbesetzer, Sperlinge beispielsweise, kämpfen sie sich den Nistplatz meist erfolgreich frei.
Niemals müde
Die Lebensräume der Schwalben sind in Gefahr: Offene Ställe und Bauernhäuser verschwinden, weil Massentierhaltung in geschlossenen Riesenstallungen stattfindet. Auch der Klimawandel bedroht die Vögel, sie kommen immer häufiger einige Wochen zu früh zurück in den Norden. Und die giftigen Pestizide, die Unkraut abtöten sollen, töten eben auch Insekten. Damit fehlt den Schwalben das notwendige Futter für ihre Brut.
„Ihre Fähigkeit, ständig in Bewegung zu bleiben, versetzt mich in Staunen: Sogleich wandeln sie die erbeuteten Insekten in Energie um wie ein Perpetuum mobile in Vogelgestalt. Nyankalema – so der Name der Rauchschwalbe in Sambia – bedeutet 'der Vogel, der niemals müde wird'."
Die Schwalbe, die Moss in seinem Buch so lebendig und liebevoll beschreibt, ist die Hirundo rustica, die Rauchschwalbe. Er folgt ihrem Weg durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter, klärt uns auf über Familienleben und Partnerwechsel, ihre Rolle in Kultur und Literatur, als Frühlingsbote und Glückssymbol selbst im Krieg. Auch von verrückten Theorien erzählt er, die glauben machen wollten, die Schwalbe könnte unter Wasser oder gar auf dem Mond überwintern. Ein vergnügliches Brevier, faktenreich und unterhaltsam erzählt und mit farbigen Lithografien und alten Stichen wunderschön illustriert.
(Christiane Schwalbe)
Stephen Moss, *1960, englischer Naturhistoriker, Autor und Fernsehproduzent
Stephen Moss „Über die Schwalbe"
aus dem Englischen von Marion Herbert und Annika Klepper
Dumont Verlag 2021, 224 Seiten, 30 farbige Abbildungen, 23 Euro
eBook 15,99 Euro