Claus Koch
1968
Drei Generationen - eine Geschichte
Auf eine Zeitreise durch die hellen und die dunklen Jahre der 68er will der Psychologe und Autor Claus Koch uns mitnehmen, und zwei Fragen vor allem machen sein Buch sehr lesenswert, für die, die damals beteiligt waren, ebenso wie für die Jüngeren, denen die Botschaften dieser Jahreszahl eher verwirrend und rückwärtsgewandt erscheinen.
Mythos 1968
Die "Mauer des Schweigens", die sich in den Jahren des Wiederaufbaus zwischen die Generationen schob, kennt Claus Koch, Jahrgang 1950, aus eigenem Erleben. In anschaulichen Rückblicken verbindet er die Analysen von Arendt, Adorno, Marcuse und Mitscherlich mit zeitgeschichtlichen Aufarbeitungen und autobiographischen Schilderungen von Zeitgenossen, von Bernward Vesper etwa, der in "Die Reise" Zeugnis über eine Erziehung, "geprägt von Angst, Kälte und Gehorsam", ablegt.
Den "Zehn Tagen Glück" des französischen Mai ging die Entfaltung einer Jugendkultur voraus, die gegen den Konformismus und das vorherrschende Arbeitsideal sinnliche Bedürfnisse setzte und dem Existentialismus viel näher war als linken Heilslehren, bevor sie deren politische Inhalte für sich reklamierte. An die geballte Aggression, mit der die im Nachkriegswohlstand etablierte Gesellschaft darauf reagierte, können sich alle erinnern, die damals jung waren, und Claus Koch beschreibt die Chance, die sich damals auftat, im falschen Leben das richtige zu entdecken, anschaulich und sehr berührend.
Geschlossene Denksysteme
Mit der Überforderung durch diesen antiautoritären Aufbruch setzten dann die 'dunklen Jahre' ein: Als die Träume des Mai 68 ausgeträumt waren und der Aktionismus sich in Ziel- und Erfolglosigkeit erschöpft hatte, boten die geschlossenen Denksysteme des Marxismus-Leninismus Struktur und vermeintliche Sicherheit, während anarchistische Gruppen sich der Tat verschrieben und im Terrorismus endeten. Für die meisten war Ende der 70er Jahre der Traum einer Revolution endgültig ausgeträumt, und die Befreiung von der Droge des scheinbar so wissenschaftlichen Sozialismus und seiner simplen Welterklärungen begann:
"Noch einmal brauchten wir für unsere Befreiung Bücher. Wir lernten aus ihnen, dass es noch eine Welt jenseits unserer ideologischen Zurüstung gab, der wir uns jetzt langsam wieder zuwandten. Diesmal beschlossen wir, die Wirklichkeit und die anderen darin ernst zu nehmen, was uns nicht daran hindern sollte, statt weiterhin von der Revolution zu träumen, am Gedanken der Revolte festzuhalten."
Neue Herausforderungen
Hier stellt Claus Koch die Verbindung zur Gegenwart her, die für die jungen Leute nicht mehr das Versprechen auf eine bessere Zukunft bereithält, sondern neue, ungeahnte Herausforderungen – den Kampf gegen die Zerstörung der Welt, gegen Flucht und Elend, gegen neue totalitäre Ideologien. Dass das Wir, von dem er erzählt, letztlich nicht so viele umfasste wie im Nachhinein angenommen, ist dem Autor bewusst, doch die Linien, die er durch die Geschichte zieht, regen zum Nachdenken an und ermutigen dazu, jenseits von digitalen Einflüsterungen und hermetischen Theoriegebäuden den eigenen Träumen zu folgen und für ein persönliches Leben in Würde zu kämpfen.
"Wir alle tragen unsere Kerker, unsere Verbrechen und Verheerungen in uns. Doch unsere Aufgabe ist es nicht, sie in der Welt zu entfesseln, sondern sie in uns und anderen zu bekämpfen." (Camus 1951)
(Lore Kleinert)
Claus Koch, *1950, Diplompsychologe, Verlagsleiter, Lehrbeauftragter, Autor zahlreicher Bücher
Claus Koch "1968"
Drei Generationen - eine Geschichte
Gütersloher Verlagshaus 2018, 288 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro