Martin Mittelmeier
Heimweh im Paradies
Thomas Mann in Kalifornien
„Ich brauche Heiterkeit“, schrieb Mann 1938 ins Tagebuch, als Vorsatz, sich von den Zeitläuften nicht zu sehr bedrängen zu lassen.“ Noch lebt er in der Schweiz, doch mit dem Anschluss Österreichs hat die Demokratie in Europa eine weitere Niederlage erlitten, und nach einer langen Vortragsreise durch die USA, wo Thomas Mann seine Gedanken zum „zukünftigen Sieg der Demokratie“ erläutert, erholt er sich mit seiner Frau und den Kindern unter kalifornischer Sonne – unter Freunden, die Deutschland schon lange verlassen haben.
Entwurzelung
Martin Mittelmeier beschreibt mit Kenntnisreichtum und leiser Ironie, wie der Dichterfürst und Nobelpreisträger sich entschließt, von den USA aus den Kampf gegen den Faschismus zu unterstützen, wie er den Aufstieg der Nazis in Europa erlebt, zunächst in Princeton, wo man ihn 1938 zu einer Gastprofessur einlud, da ist Thomas Mann 63 Jahre alt. Im Frühjahr 1941 schließlich lassen sich die Manns an der Westküste nieder, zunächst zur Miete, dann in der Villa ‚Seven Palms‘ in Pacific Palisades. Die lebhafte Szenerie der „„Glückskinder der Emigration“ – unter den Autoren Mann, Werfel, Feuchtwanger – erkundet Mittelmeier immer in Verbindung mit denen, die eine eher prekäre Existenz führen, mit ihren Freundschaften, Eifersüchteleien, dem Klatsch und den Skandalen, und so entsteht ein facettenreiches Panorama entwurzelter Menschen mit sehr verschiedenen Hoffnungen.
Selbstzweifel
Dass die Amerikaner ein größeres Interesse an den deutschen Berühmtheiten haben, wird mit dem Kriegseintritt noch zwingender. Als Feuchtwanger und Mann 1943 als Gäste zu einer Konferenz zur psychologischen Kriegsführung eingeladen werden, leisten sie ihren Beitrag zur kriegerischen Auseinandersetzung, indem sie das Land, aus dem sie fliehen mussten, nicht nur erklären, sondern auch, wie schon für die BBC, die deutschen Hörer direkt zu mobilisieren suchen, ohne Hoffnung auf Resonanz.
„Aber genau das ist es, worunter der Schriftsteller Thomas Mann leidet: dass, wie rhetorisch brillant seine Reden auch sein mögen, doch immer schmerzhaft viel an den Nuancen, an den Zwischentönen, an der Abgrundlust verloren geht, die den Schriftsteller ausmacht.“
Und Schriftsteller ist er immer und unter allen Umständen in erster Linie: Während er mit Theodor W. Adornos musikwissenschaftlicher Unterstützung an seinem „Doktor Faustus“ arbeitet, tourt Thomas Mann immer wieder mit Vorträgen durch die USA, pflichtbewusst und auch aus Interesse an den Honoraren. Mittelmeier zeigt die Ambivalenz und die Selbstzweifel des großen Schriftstellers, der sich 1944 der Bürgerprüfung als wichtigstem Teil der Einbürgerung unterzieht. Welchen Einflüssen öffnet er sich, und welche Hoffnungen lässt er mit dem weiteren Kriegsverlauf zu? Mittelmeier spürt Manns Widersprüchlichkeit mit biografischer Genauigkeit und literarischer Fantasie nach.
„Thomas Mann mag sich in seiner Entwicklung des politischen Denkens noch so sehr dem Sozialismus zugewandt haben, mag „linkse Dinge“ in einem für ihn selbst überraschenden Ausmaß geäußert haben – aber wirkliches Vertrauen zu basisdemokratischen Prozessen, zum „einfachen Volk“ vermochte er nicht zu entwickeln. Wie soll das bitte schön vor sich gehen, ohne den visionären, Verantwortung übernehmenden „großen“ Anführer?“
Kampf der Ideen
Der Krieg ist für Thomas Mann nicht nur das Mittel zum Sieg über den Faschismus, sondern der Kampf der Ideen interessiert ihn viel mehr, und die Arbeit an seinem Roman ist zugleich ein Ringen um die Aufklärung der geschichtsblinden und hitlerhörigen Deutschen. Im Roman, so Mittelmeier, konnte er deutlich und unpädagogisch sein, während er in der direkten Ansprache seine Landsleute für den Wiederaufbau in Einsicht in die Mitschuld am nationalsozialistischen Regime gewinnen möchte. Auch Manns Sehnsüchte, seine Träume nach der Operation seiner Lunge imaginiert der Autor in dezenter und poetischer Weise. Manns Europareise 1947 dämpft seine Hoffnungen auf ein erneuertes, humanistisches Europa. Noch einmal kehrt er in die USA zurück. Als ihn die sehr junge Susan Sontag 1949 in seinem Haus besucht, deutet Mittelmeier dezent an, wie sich der Autor selbst überlebt hat.
„Sontag ist fast beeindruckt, wie perfekt Thomas Mann das Bild von ihm selbst nachstellen kann. Sie ist aber enttäuscht, fast verärgert, als sie immer mehr das Gefühl hat, dass sie auch all die Sätze, die Mann sagt, schon mal gelesen hat.“
Der große Schriftsteller schreibt weiter, „als würde er sich und seinen Lesern eine Auszeit gönnen von den Abgründen der deutschen Seele“, - und so entstehen leichtere Romane, „Der Erwählte“ und endlich auch sein „Felix Krull“. Während Amerika in die Hexenjagd auf des Kommunismus verdächtigte Intellektuelle abgleitet, wird 1952 Abschied genommen. Bis zu seinem Tod wird er, mit scharfem Blick auf die deutsche Heimat, im ersten Exilland, der Schweiz wohnen.
„Nach Deutschland zu gehen war keine Option. Deutschland hat er ja in sich, das äußere erträgt er nicht.“
(Lore Kleinert)
Martin Mittelmeier, *1971, Lektor und Autor, leitet seit 2012 das Programm des Eichborn Verlags in Köln.
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