Ulrike Herrmann
Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung
Die Krise der heutigen Ökonomie
Der Kapitalismus ist ein umfassendes System, das über die reine Wirtschaft hinaus fast alle Lebensbereiche beeinflusst. Der heutigen Mainstream-Ökonomie wirft Ulrike Herrmann vor, in der Neoklassik verhaftet zu sein, mathematische Modelle zu konstruieren, die die Wirklichkeit und ihre Finanzkrisen nicht erklären können und erst recht nicht vorhersehbar machen.
Drei Jahrhunderte Nationalökonomie
Alternativ zur vorherrschenden neoklassichen Lehre stellt Ulrike Herrmann die wichtigsten Theoretiker der Nationalökonomie der letzten drei Jahrhunderte vor: Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes. Sie sind die profiliertesten Vertreter ihrer Disziplin und werden trotzdem an den Universitäten kaum, falsch oder gar nicht mehr gelehrt. Am Beispiel dieser Protagonisten erklärt sie auf informative und spannende Art die Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre, die Grundzüge des Kapitalismus, seine Entwicklung und seine zentralen Themen, die auch bis heute immer wieder neuen Diskussionsstoff liefern und zeigt die Schwachpunkte der heute meist vertretenen Neoklassik bzw. Neoliberalismus.
Adam Smith (1723 -1790)
Er ist der erste große Wirtschaftstheoretiker, der sich mit dem Markt und dem Tauschhandel befasst, der sich aus der Arbeitsteilung ergibt und zunächst durch den Eigennutz der Marktteilnehmer "als unsichtbare Hand des Marktes" gesteuert wird. Für ihn ist Arbeit die Quelle des Reichtums, er forderte von einem aktiven Staat mit Verantwortung eine progressive Einkommensteuer u.a. zur Finanzierung von Schulen für Tagelöhner. Als erster erklärte er Kapitalisten einerseits und Arbeiter andererseits als zwei separate Klassen, was Karl Marx fast 100 Jahre später wieder aufgriff.
"Smith war ein Sozialreformer, der gegen die Privilegien der Reichen kämpfte. Er war zwar für den Wettbewerb und freie Märkte, aber nicht als Selbstzweck, sondern weil er die Vorrechte der Grundbesitzer und der begüterten Kaufleute beschneiden wollte. Würde Smith heute leben, wäre er wahrscheinlich Sozialdemokrat."
Karl Marx (1818 - 1883)
Der Kapitalismus hat länger überlebt als Marx es je für möglich gehalten hatte. Was hatte er falsch analysiert? Marx hatte eine Verelendund der Arbeiterschaft durch Knechtschaft und Ausbeutung vorausgesehen, die aber so nicht eingetreten ist und nicht eintreten konnte, weil die Reallöhne mit dem technischen Fortschritt gestiegen sind und steigen mussten. Diese Nachfrage seitens der Arbeiter, die heutige "Massenkaufkraft", war für das allgemeine Wirtschaftswachstum absolut notwendig. Sein "Kommunistisches Manifest" von 1847 ist
"prägnant, sarkastisch und witzig. Die kurzen apodiktischen Sätze sind von geradezu biblischer Sprachgewalt, und noch heute wirkt der Text prophetisch, weil er düster-dramatisch eine kapitalistische Zukunft skizziert, die auch im 21. Jahrhundert nicht fremd wirkt."
John Maynard Keynes (1883 - 1946)
Noch mehr als Marx dachte Keynes dynamisch in Prozessen. Wirtschaft wird durch kollektive Erwartungen, also durch den 'Herdentrieb', gesteuert, nicht von einem neoklassischen allwissenden Homo Oeconomicus. Keynes empfahl in Krisen mit einer antizyklischen Konjunkturpolitik, 'deficit spending', die Staatsausgaben mit Hilfe von Staatskrediten zu erhöhen und die Konjunktur anzukurbeln, anstatt die Löhne zu senken, um Kosten zu sparen. Denn geringere Löhne sind auch weniger Konsumausgaben. "Wenn keiner Autos kauft, ist es sinnlos welche herzustellen."
Keynes Verdienst ist es, die Finanzmärkte ins Zentrum der Analyse zu stellen. Für die Wirtschaft sind die Finanzmärkte entscheidend, nicht der Arbeitsmarkt. Seine Meinung hat sich aber nicht durchgesetzt und so konstatiert Herrmann, heutzutage
"herrscht Chaos auf den Devisenmärkten, und aktuell kreisen täglich etwa vier Billionen Dollar um den Erdball, um mit Währungen zu spekulieren. Wie gesagt: täglich. Es ist exakt eingetreten, was Keynes theoretisch beschrieben hatte: Der Kapitalismus wird von den Finanzmärkten dominiert - und verwandelt sich in ein globales Kasino."
Die heutige Neoklassik
Dieses Chaos und der Bankencrash von 2007 konnten nur unter dem Einfluss der Neoklassik entstehen, denn in den letzten Jahrzehnten wurden so viele Finanzderivate jeder Art bis hin zu den volkswirtschaftlich unsinnigen Terminkontrakten auf Aktienkurse zugelassen, bis die Gesamtwirtschaft nicht mehr ins Gleichgewicht fand, sondern im Crash endete. Der Faktor "Macht" der Großkonzerne und des Geldes wurde unterdrückt oder sogar ganz ausgeblendet:
"Die Neoklassik kennt kein Wachstum, keine Technik, keine Großkonzerne, keine Gewinne, ... Banken, Kredite oder gar Geld sind in diesem Modell überflüssig."
Für die Studenten der Ökonomie
Ulrike Herrmann zeigt, dass Wirtschaft gar nicht so schwer zu verstehen ist, wenn sie so anschaulich und anhand historischer Entwicklungen erklärt wird. Das Buch ist auch für Nationalökonomen interessant zu lesen, weil sie sehr viel historisches Hintergrundwissen über die zeitlichen Zusammenhänge recherchiert hat und Biographien und Beweggründe dieser Protagonisten der Ökonomie spannend vermittelt.
Gewidmet ist das Buch aber den Studenten der Ökonomie. Diese haben sich 2014 in einem Aufruf von 40 Studierenden-Verbänden aus 19 Ländern für eine "Plurale Ökonomik" eingesetzt, gegen "eine besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft hat“.
(Peter Ehrenfried)
Ulrike Herrmann *1964 in Hamburg, Autorin von wirtschaftskritischen Büchern, seit 2000 Wirtschaftskorrespondentin der Tageszeitung taz, lebt in Berlin
Ulrike Herrmann "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung"
Die Krise der heutigen Ökonomie oder
Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können
Westend Verlag 2016, 288 Seiten, Taschenbuch 18 Euro
eBook 13,99 Euro, CD-Höruch 17,95 Euro
Weiterer Buchtipp zu Ulrike Herrmann:
Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen
- Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind