Eine Welt von Schnee
Hrsg. von Ursel Allenstein und Ulrike Ostermeyer
Der amerikanische Viehbauer Wilson A. Bentley fotografierte sein ganzes Leben lang Schneekristalle, weil er von der Einzigartigkeit dieser gefrorenen Kunstwerke fasziniert war.
Winterliche Schönheit
Die Herausgeberinnen dieses schönen kleinen Bandes haben sich von seiner Begeisterung anstecken lassen und Autoren zu Gedichten und Geschichten angeregt, die von der Faszination für die vergängliche Schönheit dieses winterlichen Aggregatzustands des Wassers erzählen. Durs Grünbein fordert in seinem Langgedicht "Der Schnee von heute" einen Monsieur auf, zu erwachen, aufzustehen und den Neuschnee, "kostbar wie die großen Diamanten" zu bewundern:
"Schnee hat den Bann gebrochen. Das Diktat der Zeit – Habt ihr bemerkt, ist aufgehoben. Unter frischen Wehen Kroch eine Gleichung in die Hügel. Rein als Raum, Dreht sich die Landschaft auf den Rücken wie im Traum."
Schmerz und Sehnsucht
Nicht fünfzig und nicht hundert Wörter für Schnee haben die Grönländer, erfahren wir beim dänischen Autor Kim Leine, sondern nur zwei, für den, der vom Himmel fällt, und den, der am Boden liegt. Er muss es wissen, denn er lebte fünfzehn Jahre in Grönland und seine beiden Wörter für Schnee lauten "Schmerz" und "Sehnsucht", und er vermisst die Winter in den weiß verschneiten Siedlungen mit den Hundeschlitten noch immer. Für Ulrike Draesner ist Schnee untrennbar mit dem "Heimatschnee" des schlesischen Vaters verbunden,
"weiß und knirschbereit, waldig im Wald, durch den Vater in einer Januarnacht flieht. Minus 21 Grad, drei Menschen, drei durchweichte Pappkoffer, schwer am Arm, kaum Atem, kaum Licht … Durch den Schnee hindurch griffen klamme Finger nach ihnen, wie um sie festzuhalten, dort in der Heimat, sagte Vater."
Erinnerungen an die Kindheit
Schnee versetzt zurück in die Kinderzeit und kann, ist man zum Schneeschaufeln zu schwach, zur Bedrohung und Last werden. Von sehr viel Schnee berichten vor allem die skandinavischen Schriftsteller, und der Norweger Sven Lindbäck stellt die Archetypen beim Schneeschippen vor, die Schieber und die Schaufler, die sich wiederum in Pragmatiker, Romantiker, Künstler und Anarchisten unterteilen lassen. Und dass Hamburg den Schnee aus kaufmännischen Erwägungen überhaupt erst erfunden und später nach Österreich verkauft hat, gehört zu den vergnüglichen Pointen dieses schön in weiß und blau gehaltenen Bandes, der überdies mit Schneeschipptipps garniert ist: Nr. 7: "Das beste Gerät, um Rückenschmerzen zu vermeiden, ist eine Schneefräse."
Oder aber – statt zu schaufeln oder zu schieben – zu lesen!
(Lore Kleinert)
"Eine Welt von Schnee"
Hrsg. von Ursel Allenstein und Ulrike Ostermeyer
Arche Verlag 2015, 144 Seiten, 12,00 Euro
eBook 9,99 Euro