Marceline Loridan-Ivens
Und du bist nicht zurückgekommen
Marceline schreibt einen Brief an ihren Vater – den er niemals lesen wird. Er starb in Auschwitz. Seine Tochter setzt ihm ein ergreifendes Denkmal. "Und du bist nicht zurückgekommen" heißt ihre ebenso erschütternde wie berührende Geschichte, die sie erst Jahrzehnte später aufzuschreiben vermochte.
Lebenszeichen
Sie ist 15 Jahre alt, als sie deportiert wird – zusammen mit ihrem Vater. Er kommt nach Auschwitz, sie nach Birkenau. Die Trennung ist endgültig und herzzerreißend. Nur einmal noch wird sie ein Lebenszeichen von ihm bekommen,
"ein Stück Papier, nicht glatt, an einer Seite eingerissen, eher rechteckig. Ich sehe deine nach rechts geneigte Schrift und vier oder fünf Sätze, an die ich mich nicht erinnere. Sicher bin ich mir nur einer Zeile, der ersten, 'Mein liebes kleines Mädchen', auch der letzten, deiner Unterschrift, 'Schloime'. Was dazwischen ist, weiß ich nicht mehr."
Seit sie ihren Vater in Auschwitz das letzte Mal gesehen hat, ist sie nicht mehr gewachsen.
Gegen die Schuld
Traumatisch sind ihre Erinnerungen an das Konzentrationslager, dem zu entkommen einem Wunder gleicht. Der Vater hat es vorausgesagt:
"Du wirst vielleicht zurückkommen, weil du jung bist, aber ich werde nicht zurückkommen." 75 Jahre danach schreibt sie gegen die Schuld an, die sie empfindet, weil sie überlebt hat: "Ich habe immer gemeint, dass es für die Familie besser gewesen wäre, wenn du zurückgekommen wärst und nicht ich."
Denn der Vater wurde nach dem Krieg zuhause erwartet, mit der Tochter hat man nicht gerechnet. Und vom Grauen der Lager wollte man damals in Frankreich nichts wissen.
Den Tod vor Augen
Was für eine Lebenslast, die zu all' den grauenvollen Erlebnissen noch hinzu kommt. Dieses Buch erzählt auch von dem tiefen Schuldgefühl, überlebt zu haben – vermutlich hat ihr der kleine Zettel und damit die Hoffnung, den Vater wiederzusehen, die Kraft gegeben, das Grauen zu überstehen:
Sie beobachtet die kleinen Mädchen, wie sie in die Gaskammern gehen, getrennt von ihren Eltern, sie erträgt den Geruch des Sterbens, den Hunger, die Krankheiten, die Mißhandlungen und Demütigungen. Sie erträgt den alltäglichen Anblick der Leichenberge und muss die Überreste des millionenfachen Todes sortieren:
"Der Tod spie so viele Kleider aus … Wir durchwühlten die Röcke, die Unterwäsche, die Hosen, die Hemden, die Schuhe derer, die in Rauch aufgegangen waren und deren Geruch nach verbranntem Fleisch Tag und Nacht über dem Lager schwebte, in unsere Nasen, unsere Knochen, unsere Gedanken drang und uns das gleiche Los verhieß."
Trauma der Erinnerung
Ein erschütterndes Buch, das mit der unauslöschlichen Genauigkeit, die die traumatisierten Opfer im Herzen tragen, den Horror beschreibt, den sie überlebt haben. Und die heute 86jährige, die ihre Familie in den Konzentrationslagern verloren hat, lebt mit einer erschreckenden Erkenntnis:
"Ich weiß jetzt, dass der Antisemitismus eine feste Größe ist, dass er mit den Stürmen der Welt, den Worten, den Ungeheuern und den Mitteln jeder Epoche in Wellen heranrollt … zu tief ist er in den Gesellschaften verankert."
(Christiane Schwalbe)
Marceline Loridan-Ivens *1928 als Marceline Rozenberg wurde im März 1944 mit ihrem Vater nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sie ist Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Sie lebt in Paris.
Marceline Loridan-Ivens mit Judith Perrignon "Und du bist nicht zurückgekommen"
übersetzt aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Insel-Verlag 2015, 111 Seiten, 15,00 Euro
eBook 13,99 Euro