Norbert Kron, Amichai Shalev (Hrsg.)
Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen
Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land
Ein reizvolles Projekt: Die belastete deutsch-israelische Geschichte 50 Jahre nach dem Beginn der deutsch-israelischen Beziehungen aus dem Blickwinkel der dritten Generation zu betrachten - in Geschichten von Deutschen und Israelis, die auf höchst unterschiedliche Weise "ihre" Erinnerungskultur beschreiben.
Ohne Tabus
Denn "unter den Zwanzig- bis Vierzigjährigen ist eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang eingekehrt, eine neue israelisch-deutsche Lässigkeit", schreiben die Autoren im Vorwort und stellen nicht nur fest, dass im Verhältnis der beiden Länder viele Tabus gefallen sind, sondern stellen auch Fragen an die Autoren: Wie haben Holocaust und das Täter-Opfer-Verhältnis, Palästina-Problem und Nahost-Konflikt, Erinnerungskultur und Schuldbewusstsein ihr Bild vom jeweils anderen Land geprägt? Das Ergebnis ist so heterogen wie die Autorinnen und Autoren und ihre Lebensgeschichten.
Niemand stellt Fragen
Da kommt Amichai Shalev nach Berlin:
"der attraktivste Ort in Europa … man kommt schließlich aus aller Welt, auch aus Israel hierher, weil es billig ist, niemand einem im Nacken sitzt, niemand Fragen stellt und man hier einfach man selbst sein kann, ohne dass es eine Rolle spielt, welchen Hintergrund du hast und was deiner Familie widerfahren ist."
Eva Menasse beschreibt überzeugend und berührend ihre Suche nach jüdischer Identität und kann
"das Damals – Schoah – und das Heute – Israel und Palästina nicht wegstecken wie andere Verbrechen der Geschichte …Ich bin die Nachkommin einer verfolgten Familie ..."
Cool erzählt ist Liat Elkayams ungewöhnliche Liebesgeschichte - Schauplatz wieder Berlin, zunehmend mehr Israelis ziehen in diese Stadt – zwischen einer Israelin und einem Deutschen, die immer wieder von der Vergangenheit eingeholt werden.
Und Sarah Blau berichtet eindrucksvoll von einem Besuch in Berlin, wo aus ihrem neuen Roman vorgelesen wird und sie die Aufmerksamkeit des Berliner Publikums mit Ehrfurcht erfüllt:
"Sie haben sich nicht gerührt, kapiert ihr das? Eine Dreiviertelstunde Vorlesen, Seite für Seite, und kein Mucksen!
Gemeinsame Gegenwart
Erzählt wird über neue deutsch-jüdische Lebenswelten, Erfahrungen und Erinnerungen, politische Einschätzungen, aber auch Fantasien und Visionen in den "Geschichten von morgen und anderswo". In ihrer literarischen Qualität und Aussagekraft sind die Texte sehr unterschiedlich, manchmal langatmig oder sperrig, dann wieder prägnant und kompakt. Nicht alle erschließen sich dem Leser – vielleicht auch, weil die AutorInnen selbst noch auf der Suche nach einer gemeinsamen Gegenwart sind und die Vergangenheit oft kaum wahrnehmbar zwischen den Zeilen versteckt haben.
(Christiane Schwalbe)
Norbert Kron, Amichai Shalev (Hrsg.) "Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen"
Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land
S. Fischer 2015, 320 Seiten, 18.99 Euro
eBook 16.99 Euro