Ottessa Moshfegh
Heimweh nach einer anderen Welt
Weil er Streit mit seiner schwangeren Frau hatte, zieht Charles sich in eine Berghütte zurück, "um es ihr heimzuzahlen ... aber auch, um ein letztes Wochenende für mich zu haben, bevor das Baby auf die Welt kam und mein Leben, so wie ich es bisher gekannt hatte, für immer zu ruinieren."
Mit allen Wassern gewaschen
Eine gewöhnungsbedürftige Perspektive auf die bevorstehende Vaterschaft, aber Ottessa Moshfeghs Blick auf Menschen ist ohnehin alles andere als gewöhnlich und dabei so genau, dass man Bierdunst, Zigarettenqualm und ungelüftete Zimmer förmlich riechen kann. Ihre Protagonisten bewegen sich eher unwillig durchs Leben, finden ihr Dasein anstrengend, langweilig oder öde, sie leben in schmuddeligen, ungepflegten Räumen.
Verpasste Gelegenheiten
Prekär ist das Leben der meisten Figuren, sie sind oft verwahrlost, antriebslos, quälen sich mit Hautunreinheiten und Mundgeruch, mit unerfüllten Träumen und verpassten Gelegenheiten. Verlorene Gestalten, wie die alkoholabhängige Lehrerin, die im Klassenzimmer einen Schlafsack versteckt hat, um eine Runde zu schlafen, wann immer sie keinen Unterricht hat, "meist war ich noch vom Vorabend betrunken." Aber sie unterrichtet, "weil ich die Kinder liebe." Ansonsten bestimmen Wein, Whiskey und Zigaretten ihren Alltag, am Wochenende versackt sie zu Hause, am liebsten im Bett:
"Klamotten, Bücher, ungeöffnete Post, Tassen, Aschenbecher, meine halbes Leben hatte sich dort zwischen Matratze und Wand angesammelt."
Stadt der Armen
Mr. Wu ist verliebt in die Frau von der Videospielhalle, hofft auf ein Rendezvous mit ihr, traut sich aber nicht, sie anzusprechen. Stattdessen geht er lieber in den Puff. Charles macht sich einen schönen Nachmittag mit einem Mädchen, das zufällig an die Tür klopft und eigentlich seinen Freund sucht - "Ich kannte Mädchen wie sie - harte, mit allen Wassern gewaschene Teenager aus der Unterschicht". Larry, 64, arbeitet nach dem Tod seiner Frau in einer
"Wohneinrichtung für Erwachsene mit mittelschweren Entwicklungsstörungen ... Man kann sie auch behindert nennen ... Ich hatte den Rest meines Lebens vor mir und wollte ihn unter Menschen verbringen, die mich zu schätzen wussten."
Und eine schlecht verdienende Englischlehrerin verbringt den Sommer in einer grauen, trostlosen Stadt, in der man schon auf den ersten Blick sieht, wie arm die Menschen sind – "mit ihnen reden wollte ich auch nicht, oder sie kennenlernen oder mir ihre Geschichten anhören." Und Jeb, der Rentner, der eigentlich Jebediah heißt und an der Weißfleckenkrankheit leidet, belauscht seine junge Nachbarin aus dem Keller, während er ein zähes Steak isst.
Geschichten ohne Helden
Nein, diese Menschen sind nicht sympathisch, sie sind aus der Welt gefallen, leben am Rand, im Abseits, in heruntergekommenen Wohnungen oder Häusern, mit einem Pool "voller Rostflecken und mumifizierter Eichhörnchen", das Sofa ist kratzig und hat durchgesessene Federn, Sliwowitz schmeckt hier "wie Parfum, vermischt mit Batteriesäure und Grillanzünder". Moshfegh beschreibt Menschen in ausweglosen oder lähmenden Lebenssituationen, aber so ganz lassen sie sich doch nicht unterkriegen, haben ein Fünkchen Hoffnung, Heimweh eben nach einer besseren Welt. Es sind Geschichten ohne Helden, mit traurigen, depressiven Figuren - gescheiterte Existenzen, die man aber nicht bemitleidet, sondern mit den Augen der Autorin kühl, distanziert und mit Interesse betrachtet.
Ottessa Moshfegh beobachtet gnadenlos genau und zeichnet all' die freudlosen Welten so realistisch, pointiert und verstörend, dass man sich der Kraft ihrer Geschichten nicht entziehen kann.
(Christiane Schwalbe)
Ottessa Moshfegh, *1981 in Boston, US-amerikanische Schriftstellerin kroatisch-persischer Abstammung, lebt in Los Angeles
Ottessa Moshfegh "Heimweh nach einer anderen Welt"
aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Storys, Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2020, München 2020, 336 Seiten, 22 Euro
eBook 16,99 Euro