Michael Krüger
Verabredung mit Dichtern
Erinnerungen und Begegnungen
„Ein Verleger zeugt. Wenn es keine Kinder sind, dann sind es – nach Art der Junggesellenmaschine – Bücher, die seinen Namen tragen. Je mehr Bücher seinen Namen tragen – so das narzisstische Gesetz, unter dem er antritt -, desto besser für die Unsterblichkeit.“
Mit allen Sinnen
In einer Geburtstagsrede auf seinen Freund und Verlegerkollegen Klaus Wagenbach hob Michael Krüger auf die Unsterblichkeit ab, und die Anzahl der von ihm selbst verlegten, verfassten und lektorierten Bücher ist als Garant für die Unsterblichkeit sicher längst hinreichend. Doch in den letzten, schwierigeren Jahren der Krankheit und Isolation ist die Sterblichkeit näher herangekrochen, und Klaus Wagenbach ist, wie so viele andere Freunde und Schriftsteller, nicht mehr am Leben. Umso aufregender und beglückender sind Krügers Erinnerungen an sie, die Toten, gesegnet mit immerwährendem Nachruhm, und die Überlebenden, selbst wenn sich mitunter nur noch wenige an sie erinnern. Dieses Buch ändert das, hilft uns auf die Sprünge, lädt ein, dem Autor mit allen Sinnen zu folgen.
Das große Ganze
Einigen, wie etwa Wagenbach, Walter Höllerer und Reinhard Lettau widmet er eigene Kapitel, während er ganze Freundesgruppen, holländische und israelische Dichter, die schwedischen und polnischen Freunde, die „Boys“ (Joseph Brodsky, Seamus Heany, Derek Walcott u.a.) aus der angelsächsischen Welt, auf die Bühne zaubert, indem er die Begegnungen mit ihnen mit großer Zuneigung und funkelndem Gedächtnis beschwört. Dabei geht es nie um banale Geschichtchen oder Klatsch, sondern immer ums Ganze. Im Gespräch mit Adam Zagajewski etwa, einem der bemerkenswertesten Dichter Europas, geboren in Lemberg und in Paris, den USA und Berlin lebend, bevor er nach Polen zurückkehren konnte, geht es um die Wörter, die die Welt beschreibbar machen.
„Wir können im Ernst nicht behaupten, dass wir Wörter, die das große Ganze beschreiben – die Wahrheit, das Böse, das Schöne, die Gesellschaft und wie sie alle heißen, gar nicht zu reden von Gott, der Verheißung, der Gnade und so weiter -, dass wir diese Wörter arglos, naiv oder auch nur unschuldig in den Mund nehmen können in der Hoffnung, dass alle sofort wissen, was gemeint ist. Wir müssen vorsichtig mit ihnen umgehen, in dem Bewusstsein, dass sie, weil sie schon einmal zu Bruch gegangen sind, äußerst fragil sind. Sie sind geklebt.“
Kompliziertes Leben
Wie das Reich des Imaginären, der Poesie, der Sprache Menschen verbindet und wohin es sie führt, zeichnet Krüger auch anhand seiner frühen Jahre in Berlin nach, als er sich am Schlachtensee der unbezähmbaren Leselust hingab, am Nikolassee der Melancholie frönte und im Strandbad Wannsee flanierte und das Leben genoss. Sich mit Schulwissen vollzustopfen, war seine Sache nicht, und auch den frühen Berufszielen, Landwirt, Philosoph oder Boxpromoter zu werden, folgte er nicht.
„Je mehr ich las, desto komplizierte wurde mein Leben. Es wurde so kompliziert, dass meine Mutter sich ernsthaft Sorgen um mich machte. Ich wollte etwas wissen, dass den anderen nicht zugänglich war, konnte aber nicht erklären, was es war; es ließ sich nicht in Worte fassen. Es war eine unbestimmte Sehnsucht in mir, die unbestimmt blieb.“
Die Lehre bei der Verlagsbuchhandlung Herbig, dessen Besitzer, wie seine Frau nach seinem Tod schrieb, sagte, „wenn ich mir einen Sohn wünschen würde, müsste er so sein, wie der kleine Krüger“, erdete ihn, und Michael Krüger versteht es, diese so prägenden Jahre in der frühen Bundesrepublik und während seiner Praktikumszeit in London anschaulich zu beschreiben, mit ihren Restriktionen, die zu überwinden auch bereichernd waren, bis hin zur Ankunft in München, wo er als Verlagslektor sein Berufsleben begann. Erfahrungen, die anschaulich illustrieren, wie verarmt Lernen heute sein kann, trotz aller enorm angewachsener technischer Möglichkeiten.
„Eigentlich habe ich meine Arbeit im Verlag bis zum Ende als nachgeholtes Studium verstanden: ich war der lebenslange Student, der sich die besten Lehrer suchen durfte und dafür sogar noch ein Gehalt bezog.“
Kostbare Schätze
Die großen Erfolge als Verlagsleiter schließlich streift Krüger mit Augenmaß und Selbstbewusstsein, zitiert Lobreden auf Autoren, wenn sie – oft und oft – mit Preisen bedacht wurden. Walter Kempowski notierte über ihn, als früher Lektor seines Romans ‚Tadellöser & Wolff‘: „Das hat mir bei meinen anderen Büchern gefehlt, ein Mensch mit Autorität, der den Text genießerisch auskämmt“, und der ehemalige Lektor freut sich über die schöne Formulierung. Und er nutzt die Kunst der Abschweifung, wenn er sich von der Erinnerungen weitertragen lässt, an die vielen Lieblingsorte, an denen man sich traf, das Leben und die Literatur feierte. Bezugspunkt und verbindendes Element ist dabei immer die Liebe zur Poesie, die Neugierde auf die andere Kultur, den anderen Menschen.
„Oft erinnert man sich nach Jahren an ein Gedicht, das in einem geschlummert hat wie eine schläfrige Katze, die plötzlich erwacht. Man kramt das Gedicht wieder hervor, liest es und ist begeistert oder verstört: wie konnte so ein kostbarer Schatz so lange in einem ruhen, ohne dass man es gemerkt hat?“
Die kostbaren Schätze der Sprache verführen den Autor dennoch keineswegs zur Schwärmerei oder zur Überschätzung gebildeter Diskurse. Dass der Mensch „aus allen Revolutionen immer wieder als der Alte hervorgeht, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen“, ist ihm bewusst. Auch die noch nicht vermessenen Leerstellen im eigenen, beträchtlichen Wissen bringt Krüger zur Sprache: Dichter und Dichterinnen aus vielen Ländern, auch die aus dem eigenen Land, die sein Leben bereicherten, haben in diesem so reichen Buch noch keine Erwähnung gefunden. Als Dank für die vielen Freundschaften mit ihnen und ihren Büchern verspricht er, sich ihnen weiterhin zu widmen. Schöner könnte seine „Verabredung“ nicht enden, auch im Sinne der Unsterblichkeit.
(Lore Kleinert)
Michael Krüger, *1943 in Sachsen-Anhalt, Autor mehrerer Romane und Gedichtbände mit zahlreichen Auszeichnungen, war Verlagsleiter der Carl Hanser Literaturverlage, lebt in München
Michael Krüger „Verabredung mit Dichtern“
Erinnerungen und Begegnungen
Suhrkamp Verlag 2023, 447 Seiten, 30 Euro