Lana Atakisieva
Nachtschicht in Neukölln
Eine Polizistin erzählt
Sie spricht russisch, ihre Muttersprache aserbeidschanisch, türkisch, englisch und natürlich deutsch – wichtige Voraussetzungen für eine „Nachtschicht in Neukölln”, denn hier hat es die Polizistin Lana Atakisieva häufig mit Menschen zu tun, die eine migrantische Geschichte haben.
Eskalation vermeiden
Und manchmal muss sie sich dafür auch beschimpfen lassen, als „türkische Polizei, mit der rede ich nicht” oder als „türkische Hurentochter”. Gerade in aggressiv aufgeladenen Situationen, weiß sie, ist das Gespräch besonders wichtig, man darf sich nicht provozieren lassen, muss Eskalation vermeiden und nebenbei noch eine völlig aufgelöste junge Frau beruhigen, die von einem wütenden Mieter täglich mehrfach lauthals beschimpft wird, weil ihre Klospülung Lärm macht. In der "Nachtschicht in Neukölln", einem Berliner Problembezirk, in dem besonders viele Migranten leben, geht es nicht unbedingt um die spektakuläre Tat, sondern um die kleinen alltäglichen Rangeleien und Betrugsdelikte, um häusliche Gewalt, eifersüchtige Ehemänner und ruhestörenden Lärm von 100 Partyverrückten in einer viel zu kleinen Wohnung:
„In Neukölln gibt es kaum eine Woche, in der man im Dienst nicht mit gewaltbereiten Menschen zu tun hat ... Es kann ein winziger Funken sein, an dem sich ein Großbrand der Gewalt entzündet. Auf der Straße, in Wohnungen, in Bars kann alles Mögliche vorfallen, das Konflikte auslöst, und häufig sind die Kontrahenten nicht besonnen, sondern betrunken, verzweifelt, auf Drogen oder einfach voller Wut. Wenn dann noch Waffen im Spiel sind, wird es brenzlig.”
Spagat zwischen den Kulturen
Lana Atakisieva wurde 1988 in Saratov, Russland, geboren, und ist in Baku, Aserbaidschan, aufgewachsen. Mit fünfzehn kam sie nach Deutschland, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester und der Mutter, die sich in Deutschland eine wirkungsvolle medizinische Betreuung erhoffte. Der Vater folgt ihnen erst Jahre später. Die Mädchen kommen in eine Förderklasse und erleben bei der Entscheidung für eine höhere Schule, wie sehr der Deutschtest ein K.o.Kriterium ist. Hätte sich nicht eine freundliche Lehrerin um sie gekümmert, die ihre sehr guten Leistungen in den meisten anderern Fächern sah, die beiden Mädchen wären sicher nicht auf dem Gymnasium gelandet. Gedrillt auf das übliche Pauken in der Heimat, mussten sie nun lernen, eine eigene Meinung zu vertreten, während ihre Mutter zuhause auf die weibliche Rolle pochte: Kinder und Küche.
„Ich kannte das alles aus meiner Kindheit. Die Frauen werden jung Mutter und dann sind sie für den Nachwuchs und den Haushalt zuständig. ... Die aserbeidschanische Kultur war eben so: Die Frauen fügten sich, weil sie es nicht anders kannten.”
Hartnäckig und fleißig
In ihrem Buch beschreibt Lana Atakisieva ihr Leben als Migrantin und ihre Arbeit bei der Polizei im Wechsel - den ständigen Kampf um Anerkennung in der Schule, bösartiges Schülermobbing, aus dem sich zu retten und zum Schuldirektor zu gehen großen Mut erforderte. Sie erzählt, welch' ungeheure Energie und enormer Fleiß nötig waren, um nicht nur das Abitur zu schaffen, sondern später auch in der Ausbildung zur Polizistin gegen alle Selbstzweifel gut dazustehen – unter anderem musste sie schwimmen lernen. Für eine Frau in Aserbeidschan ein Unding, für die Ausbildung aber eine notwenige Voraussetzung. Sie kommt aus einer von Männern dominierten Gesellschaft und muss sich – erst recht als Polizistin, aber auch privat – gegenüber Männern behaupten lernen.
Erfolgreiche Integration
Das ist immer wieder ein Spagat zwischen der Kultur ihrer Heimat und einem neuen Leben in Deutschland, in dem junge Frauen nicht auf die Erlaubnis ihrer Eltern angewiesen sind. Das sorgt auch für tiefgreifende Konflikte mit ihren eigenen Eltern:
„Ich wusste, dass es für meine Mutter hart war, allein zu Hause zu bleiben, und machte mir ständig Sorgen um sie. Doch ich wollte ebenso gern am Leben teilhaben, Freundinnen besuchen. Wenn ich unterwegs war, rief ich häufig zuhause an, um zu hören, ob es ihr gut geht. ... Das schlechte Gewissen war zu dieser Zeit mein ständiger Begleiter. Ich wusste, dass ich etwas tat, was meine Mutter unglücklich machte.”
Den schmerzhaften Lernprozeß bewältigt die Familie, ohne dabei zu zerbrechen. Lana Atakisieva, inzwischen 32, Polizeioberkommissarin und Streifenpolizistin in Berlin Neukölln, hat sich durchgekämpft, hat den Prozess der Integration bei gleichzeitiger Emanzipation von alten Rollenmustern erfolgreich bewältigt. Ihr Bericht ist das spannende und berührende Fazit einer erfolgreichen Integration.
(Christiane Schwalbe)
Lana Atadisieva, *1988 in Saratov/Wolga, Russland, aufgewachsen in Baku, Aserbaidschan, kam als 15jährige nach Deutschland
Lana Atakisieva „Nachtschicht Neukölln"
Eine Polizistin erzählt
Hanserblau 2021, 206 Seiten, 18 Euro
eBook 13,99 Euro