Peter Schneider
An der Schönheit kann's nicht liegen
Berlin – Porträt einer ewig unfertigen Stadt
Ein Buch für Berliner und Menschen, die es werden wollen, für Touristen und Kenner der Stadt, für ihre Gegner und jene, die sie lieben. Peter Schneider kennt sich aus, sein Buch "Mauerspringer" war vor dreißig Jahren ein internationaler Erfolg, er gehörte zu den sogenannten 68ern und war einer ihrer Wortführer.
"Es ist gar nicht so leicht, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Berlin seit einigen Jahren eine der beliebtesten Metropolen der Welt ist. An der Schönheit der Stadt kann es nicht liegen, denn Berlin ist nicht schön, Berlin ist das Aschenputtel unter Europas Hauptstädten."
Alles andere als glänzend
Berlin ist arm, aber sexy, sagte der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und prägte damit einen unvergessenen Slogan, der Touristen magisch anzieht. Das mit dem arm ist schnell vergessen, dafür ist Berlin billig und hip. Damit beginnt der Spaziergang durch Straßen und Kieze, die an so vielen Ecken alles andere als glänzend, modern und weltstädtisch sind, sondern piefig und schmuddelig, verbaut und zugesprayt, eine Spielwiese von Architekten und Investoren und vielerorts ein Bilderbuchbeispiel für Bausünden. Dazu gehört auch eine
"erstaunliche Fehlleistung der Stadtväter …. (die) nach dem Fall der Mauer nicht Sorge dafür trugen, dass wenigstens ein dreißig Meter langes Stück der Grenzanlage – mitsamt Todesstreifen, Wachtürmen, Hundelaufanlagen und der zweiten hinteren Mauer – für die Nachwelt erhalten blieb."
Partyhauptstadt
Schneider spaziert mit kundig-kritischem und stets liebevollem Blick durch die Straßen dieser ewig unfertigen Hauptstadt, die so gar nicht spektakulär daherkommt und dennoch eine magische Anziehungskraft hat - als ungekrönte Partyhauptstadt mit einem nahezu legendären Nachtleben und einer begehrten Clubszene. Aber Schneider lenkt den Blick auch auf politische Aufreger, auf zunehmenden Rassismus und auf eine Erinnerungskultur, die vom Holocaust-Denkmal bis zu den Stolpersteinen reicht. Dabei erinnert er an unsägliche Vorschläge: "Eine nicht auszudenkende Mischung aus naiver Symbolik, schlechtem Gewissen, Größenwahn und einer Ästhetik des Jahrmarkts schien die Gehirne vieler Teilnehmer an dem Wettbewerb zu vernebeln." - bis zu einem mehr als hundert Meter hohen Schlot aus Ziegelsteinen, aus dem es unaufhörlich rauchen sollte. Auf die Frage, was denn dort verbrannt werden sollte, kam nur betretenes Schweigen.
Vietnamprotest und Mauerfall
Ein Buch voller Geschichten und Erinnerungen, das aktuelle Konflikte und Probleme der jüngeren Vergangenheit nicht ausblendet: Rassismus und Fremdenhass, Überfälle auf U-und S-Bahnhöfen, den Selbstmord der Jugendrichterin Kirsten Heisig, die an der Rolle der Justiz verzweifelte und die Geschichte von Roland Jahn, der heute Leiter der Stasi-Behörde ist und in der DDR verfolgt und schließlich zur Ausreise gezwungen wurde. Ob selbstständige politische Einheit Westberlin oder Hauptstadt der DDR – Schneider erzählt von beidem, blickt auf Vietnamprotest und Mauerfall zurück, besucht die einstigen "Gastarbeiter" der DDR, die Vietnamesen, die heute in riesigen Verkaufshallen in Lichtenberg ein "Klein-Vietnam" gegründet haben
Kritisch und unterhaltsam
Ein unterhaltsam erzähltes Buch, das mit Kritik nicht spart und doch immer von der Zuneigung zu dieser Stadt getragen ist. Dabei hat der Autor stets den Satz des Verlegers Jobst Siedler im Hinterkopf: "Sie werden sich immer wieder zwischen der Schönheit eines Ortes und seiner Lebendigkeit entschieden müssen."
"Es muss an Berlin liegen", schreibt Schneider, "dass mir dieser Satz deutlicher als jeder andere, den ich bei meinen Recherchen hörte, in Erinnerung geblieben ist. Denn Schönheit und Lebendigkeit kommen in dieser Stadt selten zusammen." Aber - sagt Schneider in einem Interview - nach der Wende hat sich was verändert in dieser Stadt, die sich täglich verändert: "Berlin hat Zukunft". Vielleicht sogar eine schöne!
(Christiane Schwalbe)
Peter Schneider *1940 in Lübeck, Schriftsteller, lebt in Berlin
Peter Schneider "An der Schönheit kann's nicht liegen"
Berlin – Porträt einer ewig unfertigen Stadt
Kiepenheuer & Witsch 2015, 336 Seiten, 19.99 Euro
eBook 17,99 Euro