Barbara Honigmann
Georg
"Du lebst überall als ein enemy alien und immer im Exil", schrieb Georg Honigmann in einem seiner Briefe an seine Tochter. Barbara Honigmann beschreibt, wie er Deutscher und Jude blieb, manchmal tapfer und stolz, manchmal mit Trauer und Resignation: " … Nein, seinen Namen hätte er nie geändert, und seine Herkunft war ihm ins Gesicht geschrieben".
Ohne Halt
Schon der Vierzehnjährigen erzählte er von seinem Leben, angefeuert durch ihr waches Interesse, denn Dokumente gab es nach der Vertreibung und dem Exil kaum mehr, und die Jahre in der DDR boten ihm, dem Journalisten, kaum Anlass, den eigenen Weg zu kommentieren. Der Mann, der die bürgerlichen Attribute eines angenehmen Lebens durchaus schätzte, verharrte in provisorischen Bindungen, ohne Sicherheit und ohne Halt, wie seine Tochter aufmerksam beobachtete - drei gescheiterte Ehen, eine vierte führte ihn nach dem Ende seiner Zeit als Direktor des "Distel"-Kabaretts in die Provinz, wo er es auch nicht dauerhaft aushielt.
Einfach ein Mensch
Unnachahmlich, wie Barbara Honigmann, die er ebenso wie später seine zweite Tochter nach seiner Großmutter Anna benannte, knapp und mit leiser Ironie die Zeit zusammenschnurren lässt, wenn sie berichtet, ihr Vater habe immer dreißigjährige Frauen geheiratet, in England, in der DDR. Der Schlüsselrolle ihrer österreichischen Mutter Litzy, deren erster Mann der sowjetische Spion Kim Philby war, ist sie in ihrem Buch "Ein Kapitel aus meinem Leben" (2004) nachgegangen; durch sie wurde Georg als Journalist des "Exchange Telegraph" zur Politik `verführt`, mit ihr ging er nach dem Krieg nach Ost-Berlin.
"Hätte ich nicht besser in London bleiben sollen, warum bin ich zurückgekommen, wird er sich wohl gefragt haben, warum habe ich mich zur Kommunistischen Partei drängen lassen, wo ich doch nie über Hermann Hesse hinausgekommen bin."
Warum dieser begabte und unkonventionelle Mann seine Hoffnungen auf den Aufbau des Sozialismus setzte, ist wohl nur mit der Illusion zu erklären, in der KP eine Gemeinschaft zu finden, in der er einfach ein Mensch sein konnte. Mit dem Misstrauen der Machthaber gegenüber denen, die in westliche Länder emigriert waren, hatte er nicht gerechnet. Die "miese Erbschaft" eines Teils seiner weit verzweigten jüdischen Familie war für ihn der Bruch mit den Traditionen seiner Herkunft aus dem orthodoxen Judentum, der ihn zwischen allen Stühlen landen ließ.
Blinde Flecken im Leben
Die Tochter und Schriftstellerin, die die DDR 1984 verließ, lässt die besondere Zwangslage, in der sich der Vater wie etliche andere zurückgekehrte Juden verstrickte, sehr plastisch werden - ein leiser roter Faden durch ein Leben, in dem der Satz "oh, hätte ich doch damals" zum wehmütigen Leitmotiv wird. Ihre eigenen Erinnerungen untermalen dieses Scheitern mit Feingefühl, aber auch mit offenem Blick auf die blinden Flecken und Selbsttäuschungen im Leben des Vaters.
"Es muss da unter den Birken und Kiefern des märkischen Ortes am See eine merkwürdige Stimmung von Revanche und Trotz und Schweigen geherrscht haben; sogar das Kind, das ich war, spürte es. Gehässigkeit und Unterwürfigkeit auf der einen Seite und übertriebenes Zusammengehörigkeitsgefühl auf der anderen."
Nichts hatte Georg Honigmann auf dieses Leben vorbereitet: Erzogen nach Tod der Mutter von Großmutter Anna in "Dammschtadd", so das hessische Darmstadt, später dann in der Odenwaldschule, wo er seine erste Frau Ruth kennenlernte. In Breslau, Berlin, Prag und Gießen studierte der junge Mann aus einer Familie von Bankiers und Ärzten, führte ein Bohèmeleben in den 20er Jahren, bis er als Journalist bei der "Vossischen Zeitung" anheuerte. Aus Barbara Honigmanns behutsamer und kluger Annäherung an die Facetten dieses Lebens entsteht ein Bild auch der Katastrophe, die jüdisches Leben in Deutschland mit all seinen Erfolgen, Errungenschaften und kulturellen Reichtümern für immer zersprengt hat.
Quälende Widersprüche
Wer aus seiner Familie der Vernichtung entgangen war, verzichtete auf die Wiederbegegnung mit den deutschen Landsleuten, während Georg in seinem DDR-Leben die Widersprüche, die ihn quälten, wegschob, wenn er konnte und doch der verlorenen Zeit nachhing, ein rastloser Mann mit Charme und Verführungskraft und tiefer Traurigkeit. Die Schriftstellerin Barbara Honigmann hat ihm mit ihrem zutiefst berührenden Erinnerungsbuch vor dem Vergessen bewahrt.
"Schreiben heißt ja wiederfinden. Die verlorene Zeit zum Beispiel oder sich selbst."
(Lore Kleinert)
Barbara Honigmann, *1949 in Ost-Berlin, 1984 Emigration mit der Familie nach Straßburg, Dramaturgin, Regisseurin und Schriftstellerin mir mehreren Auszeichnungen, lebt in Straßburg
Barbara Honigmann "Georg"
Carl Hanser Verlag 2019, 160 Seiten, 18 Euro
eBook 13,99 Euro