Paul Glaser
Die Tänzerin von Auschwitz
Die Geschichte einer unbeugsamen Frau
Eigentlich will der Niederländer Paul Glaser, der in Krakau an einer Tagung teilnimmt, das Konzentrationslager Auschwitz gar nicht besuchen – aber er lässt sich überreden und geht hin, mit gemischten Gefühlen.
Das Familiengeheimnis
In dem hinter Glasscheiben geschützten Berg von Koffern der Ermordeten sieht er einen großen braunen Koffer aus den Niederlanden, auf dem der Name Glaser steht, "in meinem Land ein relativ seltener Name". Ein schicksalhafter Zufall, denn als sich Paul Glaser zur Spurensuche entschließt, findet er nicht nur die Geschichte der Tänzerin Roosje, sondern auch seine eigene. Und die ist jüdisch. Bislang ein Familiengeheimnis, das er nun öffentlich macht, obwohl ihn sein Vater davor gewarnt hat.
Eine unglaubliche Geschichte
Glaser entdeckt seine jüdischen Wurzeln und eine Familie, von der nicht mehr viele am Leben sind - 90 Prozent wurden ermordet. Seine Tante hat überlebt, und in Schweden, wo sie nach dem Krieg ein neues Leben beginnt, hat er sie noch einmal besucht. Roosje erzählt ihm ihre unglaubliche Geschichte, die mit der Leidenschaft für das Tanzen beginnt. Zusammen mit ihrem Mann gründet sie in den 1930er Jahren eine Tanzschule und unterrichtet auch die Tänze aus Amerika, die den Nazis, die 1940 die Niederlande besetzen, ein Dorn im Auge sind.
Deportation nach Auschwitz
Ihr Mann begeistert sich zunehmend für die Ideen der Besatzer, die lebenslustige und unkonventionelle Roosje hat einen Liebhaber, trennt sich von ihrem Mann, eröffnet ihre eigene Tanzschule, unterrichtet auch nach einem Verbot weiter – auf dem Dachboden. Und weigert sich, den Judenstern zu tragen. Aber sie entkommt den Nazis nicht, wird von ihrem Mann verraten. Erst landet sie in Arbeitslagern, wird später nach Auschwitz deportiert.
Wagemutig und entschlossen
Sie zieht Leichen aus den Gaskammern, panzert sich dabei gegen jegliches Gefühl und schaltet das Denken ab, wie sie sagt. Sie schreibt im KZ sogar Lieder und Liebesgedichte, um nicht verrückt zu werden. Sie hat keine Skrupel, für die Nazis zu tanzen und sie schließlich sogar zu unterrichten: Polka und Walzer sind die bevorzugten Tänze. Mit Mut und einer unglaublichen Entschlossenheit schafft sie es, sich Vergünstigungen zu erkämpfen, die sie überleben lassen.
Nüchtern und kühl
Sie muss medizinische Experimente über sich ergehen lassen, die sie fast das Leben kosten, kann danach keine Kinder mehr bekommen; sie erträgt unglaubliches Leid, überlebt sogar den Todesmarsch in eisiger Kälte und schildert ihre Situation mit einer kaum nachvollziehbaren Nüchternheit und Kühle. Aber anders war ein Überleben nicht möglich.
Paul Glaser bewertet nicht, er beschreibt, sachlich und distanziert, erzählt die Geschichte sowohl aus eigener, als auch aus Roosjes Perspektive. Ihre Tagebuchnotizen sind Grundlage der dramatischen Geschichte, zusätzlich hat er Briefe, Zeitzeugenberichte, und Dokumentationen ausgewertet - und das authentische Porträt einer Frau gezeichnet, das in seiner Einmaligkeit beeindruckt und erschüttert. Dazu gehört auch die Kritik an der niederländischen Regierung, die nach dem Krieg alles andere als freundlich mit jüdischen Rückkehrern aus den Lagern umgegangen ist - Roosje blieb deshalb in Schweden.
(Christiane Schwalbe)
Paul Glaser "Die Tänzerin von Auschwitz"
Die Geschichte einer unbeugsamen Frau
Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart und Barbara Heller
Aufbau Verlag 2015, 286 Seiten, 19,95 Euro
eBook 15,99 Euro