Hans Pleschinski (Hrsg)
Nie war es herrlicher zu leben
Das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ
Ein Tagebuch aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts bietet die Möglichkeit, das politische, gesellschaftliche und private Leben dieser Zeit wie auf einer Zeitreise kennenzulernen: Ein französischer Marschall aus altem Adel, Emmanuel von Croÿ, hat es über 60 Jahre lang geschrieben und dort akribisch seine Beobachtungen festgehalten.
Freude und Luxus
"Am Abend dieses Tages goß es in Strömen, trotzdem suchten wir die prächtige Lustmolkerei auf. Nichts hat mich je mehr beglückt: Eine glitzernde Quelle, allüberall zwischen den Füßen Wasserläufe im weißen Marmor und an den Wänden rundum Becken, deren kristallklare, sich kreuzende Wasserstrahlen Frische verströmten, sanft rauschten und das Auge entzückten."
Gefilde der Freuden – so ist dies Kapitel überschrieben, in dem der Herzog von Croÿ den viertägigen Besuch einer Gesellschaft im Schloss Chantilly beschreibt: Man promeniert, jagt, ruht sich aus und gibt sich allerhand Lustbarkeiten hin.
Der Gastgeber, der Prince de Condé, ist erst siebzehn, seine Frau 16 Jahre alt, der Herzog selbst wurde in diesem Jahr 1754 sechsunddreissig. Emanuel Herzog von Croÿ stammte aus dem Hochadel des deutsch-französischen Grenzgebiets. Sein Vater starb, als er noch ein Kind war, und in der vergleichsweise kurzen Zusammenfassung seiner Jugendjahre ist ganz überwiegend von Krankheiten die Rede, die er mühsam überwindet, bis er schließlich beim Militär "arg gedrillt" wird, wenn auch nicht mit nachteiligen Folgen.
Scharf beobachtet
Auch Deutschland durchstreift der junge Offizier; sein Tagebuch begleitet ihn von Anfang an, und er ist ein scharfer Beobachter des eigenen, adligen Standes, wie etwa des Kurfürsten von Köln:
"Er ist sanftmütig, friedliebend, schweigsam und gutherzig. Man kann alles von ihm verlangen, wenn man ihn glauben macht, es geschehe zum Wohl seines Volkes, das ihm am Herzen liegt. Ist er allerdings mißgelaunt, dann liebt er die Zerstreuung, hasst das Arbeiten, ist zu nichts zu bewegen und ist kaum ansprechbar. So müssen seine Minister fortwährend mit ihm auf die Jagd gehen, die seine Hauptleidenschaft ist und bei der er geradezu schreckliche Strecken erlegt."
Schön, klug und reich
Emanuel von Croÿ kannte sie alle, die Monarchen und Mätressen, die Weltverbesserer und Naturforscher, und er selbst interessierte sich für die schönen Künste und Wissenschaften seiner Zeit. Mit Rousseau debattierte er, wie er seine Schriften über Botanik abhandeln solle:
"Er ermutigte mich eindringlich, mein Lebtag jene Wahrheiten, die ich so gut erfasst hätte, aufzuschreiben, um sie der Akademie zu hinterlassen. Daß es mein Glück bedeuten würde, pflichtschuldig das Gute zu entdecken und nie darin nachzulassen, anderen aufzuhelfen und Vollendung anzustreben."
Das hinderte ihn nicht daran, kräftig zu lästern – zum Beispiel über Voltaire, den er gleichwohl bewunderte:
Es bleibt höchst bedauerlich, dass Voltaire zeitlebens weder ehrenhaftes Betragen noch irgendwelche Prinzipien kannte, ist er doch eines der schönsten und reichsten Genies, die je existierten. Sein System, alles zu verneinen, keinem vorgegebenen Pfad zu folgen, bewirkte, dass er – ganz wie die Aristokraten – aus jedem X ein U machen konnte.
Wacher Geist
Und auch politisch war der Aristokrat ein wacher Geist – so erschien ihm die revolutionäre Republik der Amerikaner als einleuchtende Errungenschaft, das Land, schreibt er über Benjamin Franklin, dem er als Botschafter der USA in Paris und auf dem Gipfel seines Ruhms begegnete, sei "wie ein Traum".
Noch auf dem Totenbett, 1784, genoss er es, mit den Brüdern Montgolfier, den Erfindern der Luftfahrt und ihren ersten Reisenden zu arbeiten und sie zu unterstützen.
Dieses Tagebuch eines klugen und offenen Mannes, der sein privilegiertes Leben im Ancien Régime zwar nicht in Frage stellt, wohl aber mit scharfem Blick betrachtet, regt die Vorstellungskraft an, auch was die vielen Zwänge betrifft, denen der Adel unterworfen war und an denen diese Gesellschaft letztlich erstickte. Sich zu ducken, Intrigen zu spinnen, nach Ämtern und Rangerhöhungen zu jagen – all das gehörte dazu, und der Herzog von Croÿ erfasst es mit Wissbegierde und Wahrhaftigkeit; wir lernen ihn als Menschen einer anderen Epoche kennen und begreifen in seiner Zeitgenossenschaft auch ihre Entfernung.
(Lore Kleinert)
Hans Pleschinski * 1956 in Celle, Schriftsteller, lebt in München
Hans Pleschinski (Hrsg) "Nie war es herrlicher zu leben"
Das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ
C.H. Beck Verlag 2011, 428 Seiten, 24,95 Euro