Christine Westermann
Da geht noch was
Mit 65 in die Kurve
Man könnte fast neidisch werden, mit welchem Mut sich Christine Westermann in immer neue Abenteuer stürzt, um festzustellen: Da geht noch was. Einem Millionenpublikum ist sie als Gastgeberin aus der TV-Sendung "Zimmer frei" bekannt, aber auch als Radiomoderatorin und Bücherleserin, die Buchtipps zu geben weiß, mit denen man wirklich was anfangen kann.
Herausforderungen
Neidisch, weil sie sich auch mit 65 nicht zurücklehnt, sondern sich stets von neuem herausfordern lässt und angesichts ihrer im Buch beschriebenen Verletzlichkeit die unvermeidlichen blauen Flecken nicht scheut. Wenn "Zimmer frei" im Jahr 2016 zwanzig wird, wird sie dabei sein, selbst wenn sie dann 68 ist und dem Klischee einer oberflächlichen Plauderin, wie heutige Formate sie gern haben, genauso wenig entspricht wie 1996:
"Ich war zu Beginn von "Zimmer frei" nicht nur eine ernsthafte Journalistin, ich war auch schon 48, für damalige Fernsehverhältnisse erst recht eine alte Frau."
Normal geblieben
Sie wird zum Glück nicht mal eben "ausgetauscht" gegen eine jüngere. Und das freut alle, die sie gern sehen. Weil sie trotz aller Popularität – wie sie selbst sagt – "normal geblieben" ist, weil sie nicht eitel und aufdringlich, sondern interessiert und klug fragt, Respekt vor ihren Gästen zeigt, selbst wenn die noch so abgedreht sind; weil sie nicht dumm rumschwätzt oder albern lacht oder gar ihr Gegenüber vorführt.
Nie gut genug
Christine Westermann ist im besten Sinne des Wortes authentisch und "sympathisch", wie ein skeptischer ZEIT-Autor beim Interview schnell feststellt. Dabei hat sie einen "harten inneren Kritiker. Schon immer." Und der tut alles, um sie in ihrem Selbstwertgefühl zu bremsen - ein Kindheitsmuster: "Sich nie gut genug zu fühlen, verbunden mit der Befürchtung, irgendwann werden es alle merken".
Atmen lernen
Und davon schreibt sie: Wie es in ihrer Familie zuging, wie sie hat einstecken und Verluste ertragen müssen im Leben, wie sie sich immer wieder aufgerappelt und Glück gehabt hat, wie sie Lebens- und Berufskrisen bewältigt und Mediation bei den Zen-Buddhisten gelernt hat, wie sie "Atmen" trainiert und "Achtsamkeit" für sich und andere lernt, wie sie wieder und wieder dem privaten Glück nachjagte und ebenso häufig gescheitert ist:
"Glück, das war ein wildes Sammelsurium aus Mann, Liebe, Geld, Reisen, Erfolg, Be- und Geliebtsein"
Ohne Koketterie
Christine Westermann hat ein sehr persönliches Buch geschrieben: melancholisch, selbstironisch und in ihrer typisch lakonischen Art, die zwischen Ernst und trockenem Humor pendelt und weder mit ihrem Alter noch mit ihrer Popularität kokettiert.
Ihr Buch zeigt, was Älterwerden bedeutet: bei sich anzukommen und Frieden mit sich zu schließen; den Blick auf die eigenen Fähigkeiten zu konzentrieren und sich mit Unzulänglichkeiten auszusöhnen; den Elan nicht zu verlieren, sondern die Kurve zu kriegen und mit Lust, Leidenschaft und Energie das Leben zu genießen. Erst recht ab 65.
(Christiane Schwalbe)
Christine Westermann "Da geht noch was" - Mit 65 in die Kurve
Kiepenheuer & Witsch 2013, 192 Seiten, 17,99 Euro
eBook 15,99 Euro, AudioBook 16,99 Euro, Hörbuch Download 12,99 Euro