Stephanie Nannen
Henri Nannen
Ein Stern und sein Kosmos
Was für ein mutiger Spagat: In der Doppelrolle als Enkelin und Journalistin ein Buch über den Mann zu schreiben, der einer der bemerkenswertesten Persönlichkeiten in der bundesdeutschen Presselandschaft war und zugleich der geliebte Großvater.
Spannende Mediengeschichte
Der Spagat ist gelungen: Stephanie Nannens Hommage an Henri Nannen, der am 25. Dezember 2013 100 Jahre alt geworden wäre, ist nicht nur ein lesenswertes und sehr persönliches Buch über ihren "Gropi" (wie sie ihn ganz zum Schluss nennt); es ist auch ein spannendes Stück deutscher Mediengeschichte.
Niemals langweilig
Wer erinnert sich nicht an die gefälschten Hitler-Tagebücher oder an das vielstimmige Bekenntnis "Ich habe abgetrieben", an (zu viele) barbusige Mädchen auf dem Titelbild und an spektakuläre politische Reportagen. Der Stern war Ende der 60er bis in die 80er Jahre ein Blatt, über das man sich aufregen oder freuen konnte, das stets polarisierte, niemals langweilig daher kam und das Nannen zum erfolgreichsten und auflagenstärksten Magazin Deutschlands machte.
Aus dem Bauch heraus
Henri Nannen war "der Blattmacher", der sich von einem (nahezu) unfehlbaren Instinkt leiten ließ, aus dem Bauch heraus Entscheidungen fällte und eine bewegte Phase deutscher Geschichte abbildete. Er war der Chefredakteur mit der Peitsche, der seine MitarbeiterInnen ebenso zu fördern wie zu erniedrigen wusste. Er trieb seine Leute zu Höchstleistungen – und machte sie fertig. Ganz wie es ihm gefiel. Nicht immer fair.
Er war Frauenheld und Patriarch, Lebemann und Chauvinist, leidenschaftlicher Journalist, feinsinniger Kunstliebhaber und Sammler, der seiner Liebe zu den Bildern einen wunderbaren Raum gab: die Kunsthalle in Emden.
Kritisch und distanziert
Stephanie Nannen zeichnet ein überaus facettenreiches Bild ihres Großvaters, durchaus kritisch und distanziert, aus dem Anspruch zur Gewissenhaftigkeit manchmal etwas zu detailverliebt. Sie spart die Diskussionen um seine Rolle in der Nazizeit nicht aus und belegt, dass er – wie so viele seiner Generation – kein Täter war, aber auch keiner, der mutig genug gewesen wäre, Widerstand zu leisten.
Wirkungsvolle Auftritte
Sie verschweigt weder seine Frauengeschichten noch seine tiefe Scheu und Einsamkeit, die er hinter wirkungsvollen Auftritten versteckte. Er war Motor und Getriebener zugleich, ruhelos, nie zufrieden, immer auf der Suche nach Geschichten, die vor allem "Lieschen Müller" interessieren sollten. Sie mussten spannend und gut erzählt sein, egal, ob es sich um die Ostpolitik Willy Brandts handelte oder um den Geburtstag des Büstenhalters.
Kritisch und liebevoll
Die Medien haben sich verändert – nicht nur in der Bundesrepublik. Und solche kraftvollen, bestimmenden, charismatischen Persönlichkeiten wie es ein Henri Nannen war, die gibt es kaum noch. Deswegen ist die Erinnerung an ihn so wichtig – die kritische, die bewundernde und die liebevolle.
(Christiane Schwalbe)
Stephanie Nannen "Henri Nannen" - Ein Stern und sein Kosmos
C. Bertelsmann September 2013, 400 Seiten, 19,99 Euro, eBook 15,99 Euro