Nora Krug
Heimat
Ein deutsches Familienalbum
"Jeder außer ich selbst, weiß, wohin ich gehöre. Geografisch. Historisch. Genetisch." – Was ist Heimat? Von dieser Frage geht die in New York lebende Illustratorin Nora Krug in ihrem autobiografischen Collagenbuch aus.
Schwieriges Erbe
Sie beginnt die Familiengeschichte zu erforschen und fragt ihren Vater schließlich, weil sie sich außerhalb Deutschlands oft schuldig fühlt:
"Bist du mit einem Gefühl von deutscher Schuld aufgewachsen?" … "Nein. Ich war nur entsetzt darüber, was Menschen in der Lage sind, einander anzutun."
Spurensuche
Die Vergangenheit der Familie lässt sich nicht so leicht zusammenfügen. Es gibt große Lücken und hartnäckiges Schweigen. Der Vater hat den Vornamen des zwei Jahre vor seiner Geburt, mit nur achtzehn Jahren, gefallenen Bruders geerbt. Er will nicht über die scheinbar von schweren Demütigungen geprägte Kindheit sprechen und hat auch den Kontakt zu seiner Schwester schon vor Jahren abgebrochen. Schließlich fährt die Autorin mit ihm nach Külsheim, seinem Heimatort, in der Hoffnung dort mehr herauszufinden. Es ist auch eine Frage der eigenen Identität. Sie trifft sich mit ihrem Cousin und ihrer Cousine und besucht das alte Haus der Familie.
"Während ich hier stehe, fühle ich mich, als sei ich selbst ein halbleeres Zimmer mit sich lösender Tapete: unendliche Schichten, die Stück für Stück offenbaren, was vorher einmal war."
Belastet oder Mitläufer
In der Familie der Mutter gibt es eher Legenden vom Großvater, der seinen jüdischen Geschäftspartner gerettet habe, angeblich nur in die NSDAP eingetreten sei, weil es nicht anders ging, nach Kriegsende aber als belastet eingestuft wird: Er ist bereits 1933 Parteimitglied geworden und benennt diverse Zeugen, die ihn reinwaschen sollen. Den Sohn eines der Zeugen kontaktiert Nora Krug schließlich, um Näheres herauszufinden.
" 'Sie müssen sich nicht schuldig fühlen‘, sagt Walter mit weicher Stimme, und indem er dies bemerkt, tut er das, was sein Vater einst für meinen Großvater tat: Er legt für mich Zeugnis ab."
Notizbuch einer Heimwehkranken
Man spürt bei dieser Suche der Autorin wie sehr sie hofft, dass sich die eigene Familie nicht schuldig gemacht hat. Die Flohmarktfundstücke zeigen Fotos und verschiedenste Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die Schreibhefte des Onkels veranschaulichen die Auswirkungen des Rassenhasses, der unter anderem durch antisemitische Kinderbücher wie "Der Giftpilz" von 1938 verbreitet wird. Der 13-jährige Onkel schreibt einen Aufsatz mit dem Titel "Der Jude, ein Giftpilz"; in ihrem "Notizbuch der heimwehkranken Auswanderin", findet sich "Das Pilzesammeln" im "Katalog der deutschen Dinge", andere Themen in diesen zwischengeschalteten Seiten sind z.B. Hansaplast, Gallseife, der Wald, Brot oder Leitz Aktenordner.
Faszinierendes Bilderbuch
Das Buch ist mehr als ein autobiografischer Comic; es ist eine großartige Collage aus Faksimiles von Dokumenten, Familienfotos und Zeitungsausschnitten, dazu Notizen des Onkels, den sie nie kennengelernt hat, und eigenen Zeichnungen und Texten. Es sind Familiengeschichten und Bruchstücke der individuellen und kollektiven Erinnerung, die Nora Krug zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügt. Was ist das - deutsche Identität – eine faszinierende Spurensuche von den 30iger Jahren in Deutschland bis ins New York von heute.
(Iris Knappe)
Nora Krug, *1977 in Karlsruhe, studierte Bühnenbild, Dokumentarfilm und Illustration und lehrt Illustration an der "Parsons School of Design" in New York.
Nora Krug "Heimat"
Ein deutsches Familienalbum
durchgehend illustriert von der Autorin
Penguin Verlag 2018, 288 Seiten, 28 Euro
eBook 19,99 Euro