John Green
Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
In Azas Kopf dreht sich eine Spirale der Angst – es ist eine Angst, die sie nicht loslässt, die sie quält und bedroht. Sie fürchtet sich vor allem vor Krankheit, sieht sich förmlich von Krankheitserregern durchsetzt. Da ist ein Kuss natürlich kein Kuss mehr, sondern die Übertragung von Milliarden von Bakterien.
Offene Wunden
John Green lässt Aza viele Geschichten erzählen. Die Geschichte ihrer Ängste jedoch beherrscht nicht nur sie, sondern auch den Roman.
"Ich entscheide nicht, ob ich schwitze oder ob ich Krebs oder C. Difficile kriege oder so was, also ist es auch nicht wirklich mein Körper. Ich entscheide überhaupt nichts – es wird von äußeren Kräften entschieden. Ich bin eine Geschichte, die jemand erzählt. Ich bin eine Verkettung von Umständen."
Immer wieder öffnet sie eine Wunde am Finger und beginnt irgendwann sogar Desinfektionsmittel zu trinken, um gegen die vermeintlichen Keime anzukämpfen.
Eine Liebesgeschichte
Dann verschwindet auf mysteriöse Weise ein berühmter Millionär. Sie macht sich mit ihrer besten Freundin Daisy auf die Suche nach Spuren; sie sind neugierig, ob er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist oder sich nur aus dem Staub gemacht hat, um polizeilichen Untersuchungen seiner Geschäfte zu entgehen. Außerdem ist eine Belohnung von 100 000 Dollar ausgesetzt, die vor allem Daisy gut für ihre Collegeausbildung gebrauchen könnten.
Küsse und Bakterien
Bei der Suche kommt sie Davis, dem Sohn des Millionärs, den sie bereits aus einem Sommercamp kennt, sehr nahe. Doch auch in diesem Moment entkommt sie ihren Ängsten nicht, sie ist hin- und hergerissen, versucht verzweifelt, sich selbst zu überzeugen:
"Milliarden von Menschen küssen sich, ohne daran zu sterben. Lies einfach nach, ob sich seine Mikroben langfristig in dir ansiedeln können. ...Vielleicht hat er Campylobacter, vielleicht ist er ein asymptotischer E.-coli-Träger. … Hör bitte einfach auf, verdammt noch mal. Küss ihn einfach, küss ihn. LIES LIEBER NACH."
Davis und sein Bruder leben nach dem Verschwinden des Vaters mit vielen Angestellten in einer riesigen Villa und sind dort völlig auf sich gestellt. Der Vater hat sich vor allem um eine seltene Echse gesorgt, die das gesamte Vermögen erben soll, um die Forschung über die Unsterblichkeit voranzutreiben.
Spiralen der Angst
Da dachte man schon, trauriger als der Krebstod von zwei Jugendlichen in "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" kann es nicht werden - aber es geht doch, zumindest bedrückender. Green erzählt Geschichten von jungen Menschen, die sehr einsam sind. Das Leitmotiv – die sich abwärts bewegende Spirale - steht vor allem für Aza; besonders intensiv erzählt sind ihre durch das Schriftbild extra gekennzeichneten inneren Monologe – die gehen unter die Haut. So schafft es Green, jungen Lesern, die noch nie eine Zwangsstörung erlebt haben, zumindest eine Ahnung davon zu vermitteln. Das ist schwer auszuhalten, aber sprachlich großartig.
(Iris Knappe)
John Green, *1977 in Indianapolis/USA, hat bei jugendlichen Lesern Kultstatus. Bei Lesungen geht es manchmal zu wie auf Popkonzerten. Gemeinsam mit seinem Bruder Hank betreibt er einen der weltweit erfolgreichsten Video-Blogs, die Vlogbrothers. Über 5 Millionen Leser folgen ihm auf Twitter. Der Jugendroman "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" (2012) ist ein weltweiter Bestseller, der in 56 Sprachen übersetzt und verfilmt wurde.
John Green "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken"
"Turtles All the Way Down" übersetzt aus dem Englischen von Sophie Zeitz
Hanser Verlag 2017, 288 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro, AudioCD 13,95 Euro