Marion Achard
Am Ende des Regenwaldes
"Ich lebe im Bauch des großen Waldes. Dort, wo die Bäume so hoch sind, dass die Sonnenstrahlen das Blätterdach so gut wie nie durchdringen.“ Daboka und ihre Schwester Loka gehören einem kleinen indigenen Stamm in den Tiefen des ecuadorianischen Regenwaldes an.
Das fremdartige Band
Die Gruppe lebt im Einklang mit der Natur und in tiefer Ehrfurcht vor den Göttern des Waldes. Sie sind auf dem Weg zu einer verwandten Gruppe, als sie plötzlich auf das "fremdartige Band", eine neu entstandene Straße, treffen: "Der Wald wird von ihm in zwei Stücke zerteilt. Aufgeschlitzt." Sie verharren angstvoll am Waldrand und trauen sich nicht, die Straße zu überqueren. Die Arbeiter hält Daboka zunächst nicht für Menschen.
"Diese Wesen, mit Gesichtern so bleich wie der Mond? Mit diesen unförmigen Körpern und der schlaffen Haut, die im Wind flattert? Das sind Menschen? Sie reden laut, schreien sich an, ohne Respekt für den Geist des Waldes."
Die Gruppe wird entdeckt und kann zunächst fliehen; dennoch ist ihre Existenz gefährdet – die Erdölsucher werden keine Ruhe geben.
Popoké kehrt nicht zurück
Der alte Popoké wird ausgesandt, um mehr über die fremden Männer herauszufinden; er kehrt nicht zurück. Dafür taucht ein Mann auf, der berichtet, dass Popokés Speer wie zur Warnung vor seiner Hütte steckte. Er rät ihnen eindringlich sich so weit wie möglich in den Wald zurückzuziehen. Doch bevor sie fliehen können, tauchen schon die Arbeiter auf und ermorden den gesamten Stamm bis auf Daboka und ihre kleine Schwester, die sie mit in ihre Siedlung nehmen. Für die Mädchen beginnt eine schreckliche Zeit; sie verstehen die Sprache nicht, haben Angst vor den Menschen, den lauten Geräuschen, sollen plötzlich Schuhe und Kleidung tragen.
Zerstörung des Regenwaldes
Der Roman beruht auf einer wahren Begebenheit, und Achard gelingt es, dem Leser die Gefühle und Ängste eines Mädchens nahe zu bringen, das stellvertretend für die Not vieler indigener Völker steht. Es sind fremde, exotische Lebensumstände, die die Autorin schildert, aber ihre Daboka ist ein starkes, mutiges Mädchen, deren Rechte jedoch auf unerträgliche Weise missachtet werden. Und so erzeugt sie beim Leser Mitgefühl und Nähe und warnt mit ihrer Geschichte - stellvertretend für andere Amazonasvölker - eindringlich vor einer weiteren Zerstörung der Regenwälder.
Zudem ist dieses Buch in Format und Gestaltung außergewöhnlich und wird durch das Cover mit dem grasgrünen Blatt aus Relieflack, das symbolisch von einer Straße durchschnitten wird, zum ästhetischen Vergnügen.
(Iris Knappe)
Die Französin Marion Achard reist mit ihrer Truppe Tour de Cirque durch die ganze Welt und schrieb schon mehrfach ausgezeichnete Erzählungen für Kinder und Jugendliche. "Am Ende des Regenwaldes" wurde für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert.
Marion Achard "Am Ende des Regenwaldes"
Aus dem Französischen von Anna Taube
Magellan Verlag 2019, 96 Seiten, 11 Euro
ab 12 Jahren