Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter
food design XL
Essen ist bekanntlich eine höchst komplexe Angelegenheit ? und damit ist nicht nur das Kochen gemeint. Was wir auf dem Teller anrichten, soll alle Sinne ansprechen. Nicht nur die Augen essen mit, auch die Zunge erwartet bestimmte Erlebnisse und die Ohren registrieren genau, worauf wir herumbeissen. Ohne Nase könnten wir so gut wie gar nichts schmecken. Nahrungspillen würden also nicht reichen, um unser Bedürfnis nach sinnlichem Genuss beim Essen zu befriedigen.
Chips müssen krachen
"Wenn wir also sagen, dass etwas 'gut schmeckt', dann meinen wir damit auch, dass es gut aussieht, gut riecht, sich im Mund gut anfühlt und beim Zerkauen gut klingt." Kartoffelchips müssen krachen, Krupuk muss auf der Zunge prickeln, Waffeln und Kekse müssen kross und braun sein. Kartoffelpüree ist gelb und weich, Schlagsahne schneeweiss und luftig, Mozzarella dagegen eher schwammig und Marshmellows sind pastellfarben und irgendwie wattig-fluffig.
Unsere Geschmacksnerven haben bestimmte Texturen, Farben und Aromen gelernt. Wenn die nicht stimmen, dann schmeckt's nicht. Oder können Sie sich vorstellen, sahneweiche und dunkelblaue Zuckerwatte zu verspeisen?
Neue Geschmackserlebnisse
Mit der Produktentwicklung in der Nahrungsmittelindustrie kommen aber auch zunehmend mehr künstliche Stoffe und Aromen ins Geschmacksspiel, unsere gelernten Erwartungen an Konsistenz, Farbe und Textur eines Lebensmittels werden "umgepolt" und für andere Rezepturen oder optische Erscheinung nutzbar gemacht, um ungewohnte Geschmackserlebnisse zu kreieren. Jüngstes Beispiel aus der Gastronomie ist die Molekularküche. Aber warum ist Pizza rund und weshalb haben Butterkekse Zacken?
Nahrung als Mode
"In Europa kommen jährlich rund 10 000 neue Lebensmittel auf den Markt. Davon floppen 50 Prozent innerhalb von drei Monaten und nur eines von zwanzig hält sich länger als zwei Jahre auf dem Markt.
Nahrungsmittel sind Modeerscheinungen geworden und ihr Konsum hat oft mehr mit Lifestyle und Selbstverwirklichung zu tun als mit Ernährung ... Von der Fülle an Nahrungsmitteln, mit denen uns die Natur versorgt, gelangen nur die wenigsten direkt, also roh und im Ganzen auf den Teller".
Food Design zuhause
Wenn wir anfangen zu kochen, beginnen wir bereits, Nahrungsmittel zu designen: "Mehr als eintausend Mal pro Jahr, vor jedem Essen, zerschneiden, zerkochen, verrühren und kombinieren wir bewusst das essbare Angebot der Natur. Der menschliche Wille, Essbares zu gestalten, unterscheidet uns von allen anderen Lebewesen. Nahrungsmittel sind eben Genussmittel".
Sinnlicher Genuss
In diesem Buch werden sie in all' ihrer wunderbaren Vielfalt der Formen und Farben dargestellt, angereichert mit spannenden Geschichten über die Geschichte der Nahrung und ihrer möglichen Verarbeitung zu Produkten, die uns im besten Fall auf der Zunge zergehen.
"Food Design XL" dokumentiert, dass Essen eben nicht nur bedeutet, sich den Bauch voll zu schlagen, sondern alle Sinne anregen sollte. Allein schon die wunderbar fotografierte und außergewöhnlich ästhetische Gestaltung dieses üppig bebilderten Buches ermöglicht, sich mit Lust und Spaß über Kultur, Geschichte und die Symbolhaftigkeit unserer Ernährung Gedanken zu machen.
Lukullisches Vergnügen
Die tägliche Mahlzeit ist ein Kulturgut, das es zu bewahren gilt, angesichts unserer wachsenden Fastfood-Mentalität gilt das ganz besonders.
Deshalb ist dieses Buch für alle, die sich gern mit Essen, Trinken und Kochen beschäftigen, ein wahrhaft lukullisches Vergnügen, bei dem man viel lernen kann: Über unsere fünf Sinne und die Funktion von Essen, über Geruch und Geschmack, Optik und Konsistenz, Symbolkraft, Farbpsychologie und Zeitgeist, Produktion und Verwertung von Lebensmitteln.
Kurzum: "food design XL" lädt zu einer ebenso sinnlichen wie informativen und kritischen Reise in die Welt der Geschmackserlebnise ein.
(Christiane Schwalbe)
Sonja Stummerer *1973, Wien; Martin Hablesreiter *1974
Freistadt/Österreich; die studierten Architekten führten Regie beim "food design - der Film"
Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter "food design XL"
zweisprachig, englisch und deutsch
Springer Wien, New York 2010, 348 Seiten, 39,95 Euro