Jonathan Lethem
Der wilde Detektiv
"Normale Menschen sind vielleicht das Entsetzlichste, was es auf Erden gibt. Normale Amerikaner, besser gesagt." Monatelang hatte Phoebe Siegler den Aufstieg des neuen amerikanischen Präsidenten verfolgt, bis sie ihren Job als Journalistin wegen der Anbiederung an Trump zornig hinschmeißt.
Radikale Geste
Was nun? Helfen – die Tochter ihrer Freundin und früheren Chefin ist verschwunden, und Phoebe tritt in Aktion. Und trifft auf einen Detektiv, der sie in eine andere Welt, weit entfernt von Manhattan, hineinzieht.
"Meine radikale Geste, aus meinem Privilegienkäfig auszubrechen und mich ins Abenteuer zu stürzen. Die Rolle der Retterin zu übernehmen. Es kam mir so vor, als wäre ich bewusst verkleinert worden, als stünde ich auf einer Stufe mit dem Opossum oder dem Mädchen unter der Bettdecke."
Jonathan Lethems Anspielung auf die kleine Alice im Wunderland ist bewusst gewählt, denn seine scharfzüngige Heldin landet am Rande der Mojave-Wüste, wo sich die Reste der Hippiekommunen der 60er Jahre an ein elendes Überleben klammern und seltsame, gewalttätige Rituale kultivieren. Die dreiunddreißigjährige New Yorkerin fühlt sich wie auf einem fernen Planeten.
Auf den Hund gekommen
Die Suche nach dem verschwundenen Mädchen führt sie zusammen mit Heist und etlichen großen Hunden zu rivalisierenden Stämmen, weiblichen Veganerinnen, den Kaninchen und den Bären, männlichen Hells Angels-Imitatoren. Mitunter geschwätzig und klischeehaft, zeichnen ihre politischen wachen Beobachtungen doch ein Bild der USA in der Ära Trump, in der auch die Gegenkultur auf den Hund gekommen ist und jungen Ausreißerinnen keine Chance befreiten Lebens mehr bietet. Der Autor beschreibt diese Männer und Frauen aus Phoebes Perspektive als Überlebende einer Katastrophe, deren Traumata und Absonderlichkeiten auf den Zerfall jeglicher Zivilisation in einer postapokalyptischen Welt deuten.
"Menschen mit einem Hang zum Nomadentum mussten selten überhaupt etwas bauen…Wer sich noch auf die Geldwirtschaft einließ, konnte Drogen kochen, den eigenen Körper verkaufen, bei der Tauschbörse auf dem Gelände des alten Drive-In-Kinos abgestaubte Bakelitartefakte verkaufen oder in die Städte zurücklaufen und Häuser putzen oder an Straßenecken betteln."
Gefährlicher Ritt
Der wortkarge Detektiv Heist bleibt ein Rätsel, vom Schriftsteller offenbar erdacht, um seiner sich an die Sprache klammernden Harvardabsolventin Phoebe einen 'wilden' Gegenpol zu bieten, an dem sie sich auf dem gefährlichen Ritt durch fremde Gesellschaftsrelikte abarbeiten kann. Dass sie sich von ihm erotisch angezogen fühlt, ist krimidramaturgisch mit Bedacht eingesetzt, bleibt jedoch männliche Kopfgeburt.
"So langsam verstand ich, wie Heist funktionierte. Er arbeitete in und durch Widersprüche, gab sich selten zu erkennen, machte nichts ganz und benannte kaum je etwas eindeutig."
Ihre Befürchtungen, mit Heist doch im morschen "Skript, nach dessen Pfeife die ganze Welt tanzte, vor der ich geflohen war" zu landen, sind dabei durchaus amüsant und erinnern an die kleine Alice im Kaninchenloch, immer bemüht, das Unbegreifliche zu verstehen. Phoebe allerdings verliert einiges von ihrer liberalen New Yorker Selbstgewissheit, und das ist das eigentliche Thema dieses durch Amerikas Ränder mäandernden Kriminalromans, der keiner ist. Mein Lieblingssatz:
"Das Fernsehen hatte sich selbst gewählt, fand ich. Von mir aus konnte es sich dann auch selber sehen. Ich las mein Buch."
(Lore Kleinert)
Jonathan Lethem, *1964 in New York, Professor für Creative Writing und Autor zahlreicher Romane, erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen, lebt in Kalifornien
Jonathan Lethem "Der wilde Detektiv"
"The Feral Detective" übersetzt von Ulrich Blumenbach
Roman, Tropen Verlag / Klett-Cotta 2019, 335 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro