Lisa Sandlin
Ein Job für Delpha
"Delpha Wade. Aus seinem Hirn ratterte ein Bild, aber nur bruchstückhaft, so wie ein Lohnstreifen, der halb in der Maschine stecken bleibt." Aber lange dauert es nicht, bis Vietnamveteran und Detektivnovize Tom Phelan wieder einfällt, dass Delpha Wade 14 Jahre Zuchthaus hinter sich hat, weil sie den jüngeren ihrer beiden Vergewaltiger, Vater und Sohn, mit einem Messer tötete.
Skurril und dramatisch
Nach ihrer Entlassung wird sie Phelans Sekretärin und mehr als das: Als Team befassen sie sich bald mit teils skurrilen, teils dramatischen Fällen, vom Verlust einer Beinprothese über Industriespionage bis hin zu Missbrauch von Jungen, und Lisa Sandlin entwickelt ihre Zusammenarbeit beiläufig und elegant und mit genauem Blick für die Szenerie, in der die beiden agieren. Beaumont in Texas ist eine Stadt, deren große Zeit des wirtschaftlichen Booms hinter ihr liegt. An der Schnittstelle zum Süden der USA hat sie durchaus eine besondere Geschichte von Rassismus und Gewalt, und man schreibt das Jahr 1973: Präsident Nixon lügt gegen sein Watergate an, der Vietnamkrieg tobt noch immer und die Ölindustrie beherrscht Menschen und Hoffnungen.
Verlorene Welt
Mit Delpha, die ihr erstes Zuhause nach der Gefängniszelle im Zimmer 221 des New Rosemont Hotels erobert und nebenbei für eine kranke und hilflose Frau arbeitet, erlebt man, wie es sich anfühlt, die verlorene Welt in diesen Zeiten des Umbruchs zurückzuerobern und ganz allmählich wieder zu leben.
"Wenn man etwas Schlimmes zu verdauen hatte, musste man tun, was man sonst auch immer getan hatte – das hatte sie gelernt. Und man achtete darauf, dass man aus allem das Schöne herausholte. Aus allem. Man tat nicht so, als wäre alles in Ordnung, aber man heulte auch nicht in sein Bier. Sie hatte sowieso kein Bier, in das sie hätte heulen können."
Zäh und hartnäckig begegnet sie nicht nur den Herausforderungen der aufzuklärenden Fälle, sondern auch denen der Vergangenheit und Zukunft: Ihr Vergewaltiger treibt weiter sein Unwesen, und Isaac, ein junger Student verliebt sich in sie und schlägt eine Bresche in den Panzer, der ihr lange Schutz bot. Ihre Gedankenwelt untermalt die Aufklärung und Zusammenarbeit mit Tom Phelan mit einer melancholischen Unterströmung und verleiht der spannenden Geschichte Tiefe und Poesie.
"Überwältigt brach alles in Delpha auf, weitete sich unendlich, als sie den Horizont und dessen salzigen Atem aufnahm. Es war nicht lange her, da wollte sie Zimmer 221 im New Rosemont Hotel sein. Jetzt sah sie den lebendigen, unermesslichen Ozean, hörte ihn, roch ihn und wusste, dass sie nicht mehr so leicht in das Zimmer passen würde."
Genaue Zwischentöne
Lisa Sandlins Sprache ist gleichwohl knapp und wohldosiert, und die Dialoge der beiden ungleichen Partner treiben ihre Annäherung aneinander realistisch und glaubwürdig voran: kein Wort zu viel, aber alle Zwischentöne genauestens erfasst, und das gilt auch für alle anderen Gespräche und Aktionen. Wie in den besten Büchen von Hammett oder Chandler dringt Sandlin dabei zu den entscheidenden Fragen bester Kriminalliteratur vor: Wie sehr beeinflussen die Umstände von Geburt, Herkunft, Prägung die Möglichkeiten eines Menschen, und wie groß ist der Spielraum für eigene Entscheidungen, auch gegen alle Widerstände und Überraschungen. Ein großartiges Debüt, aus dem hoffentlich eine Serie von Romanen wird!
(Lore Kleinert)
Lisa Sandlin, *1951 in Beaumont, Texas/USA, Autorin hauptsächlich von Kurzgeschichten, lebt in New Mexico/USA
Lisa Sandlin "Ein Job für Delpha"
"The Do-Right" übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf
Kriminalroman, Suhrkamp Taschenbuch 2017, 350 Seiten, 9,95 Euro
eBook 9,99 Euro