Tom Franklin
Krumme Type, krumme Type
Larry Ott, genannt scary Larry, wird gleich zu Beginn Opfer eines Mordversuchs. Er ist der Prügelknabe des kleinen Orts Chabot/Mississippi, denn vor 25 Jahren verschwand ein Mädchen, mit dem er verabredet war, spurlos, und der Sechzehnjährige wurde den Verdacht, der auf ihm lastete, nie mehr los.
Einsamer Leser
Er kehrt nach seiner Militärzeit zurück, fristet sein Leben durch den stückweisen Verkauf des geerbten Waldes und eine Autowerkstatt und rettet sich in die Bücher – ein Leser, einsam, resigniert und Zielscheibe bösartiger Rednecks. Als er im Krankenhaus aus dem Koma erwacht, steht er wieder unter Verdacht: Ein Mädchen ist verschwunden, wurde vergewaltigt und ermordet. Doch diesmal ist vieles anders:
"Vielleicht täuschte er sich ja, was das Wort Freund anging, vielleicht war er schon so lange von allen weggestoßen worden, dass er nur noch ein Schwamm für die Untaten war, die andere begingen. Vielleicht hatte er nach so langer Zeit angefangen, ihre Version von ihm zu glauben. Aber das war vorbei.“
Verrat am weißen Freund
Vorbei, weil der Mann ohne Freunde von dem einen Freund wieder beachtet wird, mit dem er damals einige Monate lang Nähe erlebte, dem schwarzen Jungen Silas, der inzwischen nach einer missglückten Baseballkarriere als einziger Gesetzeshüter in Chabot angeheuert hat. Tom Franklin entwickelt mit Ruhe und dramaturgischem Feingefühl den Weg, der die beiden so verschiedenen Jugendfreunde zusammenführte und wieder trennte, auf dem Hintergrund eines fortdauernden Rassismus in der Kleinstadt im tiefen Süden der USA, deren Niedergang den Nährboden für Bigotterie, Heuchelei und Hass bereitet. Und während Larry um sein Leben ringt, muss Silas herausfinden, was damals wirklich geschah, seinen Kränkungen und dem eigenen Verrat am weißen Freund ins Auge sehen. Nur so kann er erkennen, welche Folgen das alles hatte, bis in die Gegenwart, und was mit den verschwundenen Mädchen geschah.
"Als er ging, lag Larry zwischen seinen Geräten, dachte an Silas und daran, dass die Zeit neue Jahre auf die alten häuft, die alten aber immer noch da sind, so wie die frühesten, engsten Ringe in der Mitte eines Baumstamms, die verborgensten, in Dunkelheit eingeschlossen und vor dem Wetter geschützt.“
Folgen der Rassentrennung
Tom Franklins Roman erzählt nicht nur von beinharter Brutalität und Verlogenheit in den Familien, vom Leben in extremer Einsamkeit und vielen verpassten Gelegenheiten. Larry und Silas sind so genau und lebendig gezeichnet, dass sie uns unter die Haut gehen, weil sie unter widrigsten Umständen ihr Bestes geben, ohne jemals melodramatisch oder selbstmitleidig zu agieren. Auch die Verwirrungen des Heranwachsens mit all seinen Ängsten gesteht er seinen Protagonisten zu, immer grundiert durch die Folgen der Rassentrennung, die sich in einer kleinen sterbenden Stadt mit ihren Vorurteilen und Geheimnissen zu einem ganz besonderen, bösartigen Gebräu mischen. Ein hochaktueller und tieftrauriger Blick auf die Schattenseiten der US-amerikanischen Gesellschaft!
(Lore Kleinert)
Tom Franklin "Krumme Type, krumme Type"
übersetzt aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Roman, Verlag Pulp Master Berlin 2018, 15,80 Euro