Frank Göhre
Verdammte Liebe Amsterdam
Deutscher Krimipreis 2020
"Hör zu, wir sind Brüder, wir müssen uns aufeinander verlassen können, jederzeit, auf immer und ewig." Als Georg Kösters Bruder Michael das sagt, im Jahr 1978, sind beide noch Schüler, mutterlos und schikaniert von der zukünftigen Frau ihres Vaters, die jetzt tot im Unterholz liegt, auf einem Spaziergang mit den Brüdern abgestürzt - oder gestoßen?
Mit hohem Risiko
Fast vierzig Jahre später bekommt der Reeperbahn-Gastronom, den alle Schorsch nennen, Nachricht vom Tod seines Bruders, der erschlagen und ausgeraubt auf einem Autobahnrastplatz bei Köln gefunden wird. Sehr lange hatte er nichts mehr mit ihm zu tun, doch als er vom letzten Job Michaels als Detektiv erfährt, will er herausfinden, was passiert ist. In Amsterdam spürt er ein junges Mädchen auf, Suse Campmann, die aus dem Haus ihrer Mutter abgehauen ist. Martina Campmanns neuer Freund ist Polizist, wie ihr verstorbener Mann, und allmählich dringen Schorsch Köster und sein Mitarbeiter Khasib auf der Spur des toten Bruders in ausbeuterische und gewalttätige Verhältnisse vor, mit hohem Risiko für sich selbst. Aber er hat da noch einen Freund aus dem Kiez in seinem Restaurant, Bonnie.
"Kurz dachte er an Bonnie. An sein Souvenir. Es gab einiges, wovon Bonnie wohl nie die Finger ließe, ganz solide würde er nie sein."
Szene an Szene
Ich habe lange keinen Kriminalroman gelesen, der so perfekt wie ein Film funktioniert: Altmeister Göhre, inzwischen 76, montiert in rasanten Wechseln Bild an Bild, Szene an Szene, mit auf den Punkt präzisen Dialogen, in denen kein Wort zu viel gesagt wird. Und doch sind alle Personen authentisch charakterisiert, lakonisch, unterkühlt und zugleich mit feinem Sensorium für menschliches Leid und verbrecherisches Unrecht. Alle Rollen wie ein fiktives Besetzungsbüro in der Phantasie selbst zu verteilen, ist dabei ein zusätzliches Vergnügen. In die Suchbewegung zwischen Köln, Amsterdam, Recklinghausen und Hamburg baut der Autor etliche Rückblicke in das Leben der beiden Brüder ein: Georg "Schorsch" Köster muss nicht nur die letzte Aufgabe seines toten Bruders bewältigen, sondern auch einen neuen Weg zu sich selbst finden.
Tiefe Melancholie
Ein treffendes Zitat nach Hans Henny Jahnn ist dem Roman vorangestellt: "Hochgeschwemmte Erinnerungen, Träume, diese Blutergüsse der Seele" – auch ihnen muss Göhres überlebender Bruder folgen, und das unterlegt diesen sehr gelungenen deutschen Noir mit tiefer Melancholie – wie in den besten Filmen zum Beispiel von Jean-Pierre Melville.
(Lore Kleinert)
Frank Göhre, *1943, aufgewachsen im Ruhrgebiet, mehrfach preisgekrönter deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor, lebt in Hamburg
Frank Göhre "Verdammte Liebe Amsterdam"
Kriminalroman, CulturBooksVerlag 2020, 158 Seiten, 15 Euro
eBook 9,99 Euro