Petra Hammesfahr
Nach dem Feuer
Viele Köche verderben den Brei - das könnte das Motto zu Petra Hammesfahrs neuem Kriminalroman sein. Denkt man, zunächst einmal.
Suche nach Wahrheit
Als ein fünfzehnjähriger Junge sehr knapp und mit Brandwunden aus einem Wohnmobil entkommt, das in einer Braunkohledeponie abgefackelt wurde, wird es mit jeder Vernehmung, jeder Begegnung im Krankenhaus komplizierter und unübersichtlicher. Polizistinnen, Kriminalbeamte, zufällige Mitpatienten schließen aus den Bruchstücken, die sie erfahren, alles andere als die Wahrheit, und die bleibt auch uns Leserinnen und Lesern bis zum Schluss verborgen. Wer ist das Kind wirklich, was geschah mit seiner Mutter, deren gepfählte Leiche erst viel später aufgefunden wird, und welchen Anteil hat der Vater, haben die Großeltern an den grauenvollen Verhältnissen, an denen die Familie zerbrach? Rudolf Grovian ist einer der vielen Beamten, die in den Bann des Jungen gezogen werden und sich um ihn sorgen:
"Er war in dem Moment ziemlich sauer. Wie sollte man denn die richtigen Schlüsse ziehen, wenn man als Gefälligkeitsermittler losgeschickt wurde und nur häppchenweise serviert bekam, was andere in Erfahrung gebracht hatten? So konnte doch keiner arbeiten."
Kompliziertes Puzzle
Auch Hammesfahrs bewährter Ermittler Klinkhammer ist mit von der Partie, ebenso die junge Polizistin Rita Voss und Jochen Becker, Klinkhammers Nachfolger in Hürth. Sie alle werden Teil des komplizierten Puzzles, aus dem Petra Hammesfahr die desolate Familiengeschichte des ebenso begabten wie kindlichen David entwickelt. Nur in Kleinstädten, mit ihren Schweigezonen und Schattenseiten können sich Schicksale wie diese so heillos nah und so hoffnungslos verstricken, - die Autorin zeigt in ihrem 35. Kriminalroman, dass sie sich auf diesem Feld perfekt auskennt. Hammesfahrs‘ Ermittler, die mitunter etwas schwierig zu unterscheiden sind, sind zumindest mit Zähigkeit und Mitgefühl ausgestattet.
"Aber irgendwann musste man akzeptieren, dass die Welt immer wüster und ein Teil der Menschen immer verrückter oder brutaler oder beides gleichzeitig werde. Dann müsse man sich entscheiden, ob man in der Ruhe und Gemütlichkeit einer Kleinstadt-Dienststelle verharren wolle, bis man von Verrücktheit und Brutalität überrannt werde. Oder ob man vorher aufsteht, um etwas dagegen zu unternehmen."
Raffinierter Plot
Klinkhammer hat sich zwar längst zum LKA nach Köln verabschiedet, aber in diesem Fall nützt ihm das wenig. Als sich der Fall des Jungen mit dem einer jungen Serienmörderin verknüpft, hat man die Chance, sich von all den Lösungsansätzen zu verabschieden, die auf mehr als 400 Seiten als plausibel erschienen, und kann das Puzzle, das sich aus vielen verschiedenen Perspektiven zusammensetzt, noch einmal gänzlich neu betrachten. Liebevolles Verhalten war im Kosmos der Mutter des Jungen kaum vorgesehen, doch selbst Ramona Erken, die eine blutige Spur zog, tat das Kind leid:
"Ich verstehe nicht, wie sie Feuer legen und ihn zurücklassen konnte.“ „Dazwischen liegen elf Jahre und siebzehn Morde", sagte Klinkhammer. "Müssen wir immer alles verstehen? Reicht es nicht, wenn Psychiater sich darum bemühen und der Meinung sind, wenn sie es erklären könnten, hätten wir uns damit abzufinden?"
Doch auch Psychiater kommen in diesem Spinnennetz an ihre Grenzen. Petra Hammesfahr verlangt von ihren LeserInnen Konzentration und Geduld, und sie belohnt uns mit einem raffinierten Plot und vielen falschen Fährten.
(Lore Kleinert)
Petra Hammesfahr, *1951 in Titz bei Düren, deutsche Autorin zahlreicher Romane und Krimis, gilt als eine der erfolgreichsten deutschen Krimi-Autorinnen
Petra Hammesfahr "Nach dem Feuer"
Kriminalroman, Diana Verlag 2020, 464 Seiten, 15,99 Euro
eBook 15,99 Euro