Volker Kutscher
Olympia
"Wären die Olympia-Touristen und die Journalisten aus aller Welt doch nur ein paar Tage länger geblieben. Hätten ein wenig genauer hingeschaut. Und nicht alles geglaubt, was Goebbels‘ Propagandisten ihnen erzählt hatten. Hätte, Hätte."
Bauernopfer
Die Jugend der Welt zu Gast bei Nazis: nach Ende der Olympischen Spielen 1936 wurden die Schilder "Für Juden verboten" wieder angebracht, die Ausgaben des "Stürmer" wieder laut angepriesen, und der Schleier, der über den Terror gebreitet worden war, zerriss. Kommissar Gereon Rath ist im Netz von SS und SD gefangen, und sein Spielraum, während der Spiele im olympischen Dorf in Berlin zu ermitteln, ist denkbar gering. Ein amerikanischer Sportfunktionär wird ermordet, doch das muss verschwiegen werden, zumal gegenüber der anreisenden reichen Witwe. Die SS will ein kommunistisches Komplott aufgedeckt wissen, obwohl die Kommunisten längst im Lager sitzen – oder die Farbe gewechselt haben, wie ein Verdächtiger, der zum Bauernopfer wird.
Verordneter Jubel
Ausgerechnet Fritze, der Pflegesohn, der den Raths im letzten Band (Marlow, 2018) weggenommen und in einer Nazifamilie untergebracht wurde, ist Zeuge nicht nur eines Mordes. Der Fünfzehnjährige ist als Hitlerjugend-Ehrendienstler dem schwarzen Hochsprungstar Dave Albritton zugeordnet und muss erkennen, dass naive Freude am Sport und an den Siegen von Jesse Owen und anderen Medaillengewinnern nicht mehr ratsam ist,- die Begeisterung über die weltoffenen Spiele muss allzu sehr als wohlfeiler Brennstoff der Propagandamaschinerie herhalten. Sein Schicksal ist mit dem Gereon Raths und seiner Frau Charlotte nach wie vor verknüpft, und Volker Kutscher lässt uns als Leser und Leserinnen durch ihre Augen miterleben, wie der Alltag im Dritten Reich immer düsterer wird, für alle, die in den verordneten Jubel nicht einstimmen können und wollen.
Auf eigene Faust
Kommissar Rath laviert zwischen den Fronten verschiedener Dienststellen und Folterkeller der SS, Gestapo und des SD hin und her, denn er wird erpresst.
"Sie wissen doch: Die Mordkommission schließt keine Möglichkeit vorschnell aus. Jemand, der beim Sicherheitsdienst arbeitet, macht sich bestimmt Feinde. Aber auch die Feinde sind beim Sicherheitsdienst streng geheim. Alles ist hier geheim. Und einem Kriminalkommissar vom Alex erzählen die hier gar nichts, das kann ich Ihnen sagen."
Je näher er den Gangstern aus der Vergangenheit kommt, deren Spur er auf eigene Faust verfolgt, desto mehr gerät er ins Fadenkreuz der politischen Gewalt derer, die die Kriminalpolizei längst ihren politischen Zielen unterworfen haben. Charly, nüchterner und hellsichtiger als Gereon, ist zwar wegen der Einquartierung von Olympia-Gästen aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, unterstützt ihn aber als Detektivin. Doch auch ihre Ermittlungen lassen das Spinnennetz nur noch dichter und eine Flucht aus Deutschland immer wahrscheinlicher werden.
Beklemmendes Zeitporträt
Volker Kutscher gelingt mit seinem achten Roman um Kommissar Rath ein beklemmend genaues Zeitportrait, glänzend recherchiert und höchst kenntnisreich, mit allen Vorzügen eines spannenden Kriminalromans und zugleich weit mehr. Das Leben unter einer Diktatur, die sich die Sportbegeisterung der Welt zunutze macht und zugleich mit Erpressung, Lügen, Einschüchterung und mörderischer Gewalt agiert, wird hier atmosphärisch dicht und glaubwürdig entfaltet. Wie es nach dem Ende der Spiele weiterging, wissen wir zwar, doch wie Volker Kutscher diese Geschichte weitererzählt, erwartet man mit größter Spannung.
(Lore Kleinert)
Volker Kutscher, *1962 in Lindlar bei Köln, Journalist, Autor zahlreicher Kriminalromane, mehrfach ausgezeichnet, lebt in Köln und Berlin
Volker Kutscher "Olympia"
Der achte Rath-Roman, Piper Verlag 2020, 540 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro, AudioCD 15,34 Euro