Simone Buchholz
Blaue Nacht
Wenn in Hamburg jemand halb totgeprügelt oder -geschossen oder -gefahren wird, ist Staatsanwältin Chastity Riley zuständig. An die großen Fälle lässt man sie in diesem sechsten Band nicht mehr, seit sie ihren Chef der Korruption überführte und anschoss.
Geld und Macht
Jetzt ist sie als Opferschutzbeauftragte kaltgestellt, doch unbeirrt auf der Jagd. Und der albanische Gangster, der am besten organisierten Verbrecher Hamburgs und hartnäckiger Widersacher von Chas Riley und ihren Kollegen, ist dabei, sich unangreifbar zu machen, "Hafencity läuft und wirft ab", die Stadt hat ihre Schuldigkeit getan. Das lässt auch ihrem ehemaligem Kollegen Faller, obgleich im Ruhestand, keine Ruhe, was wiederum die Staatsanwältin beunruhigt:
"Mir ist schlecht, ich hab zu viele Akten gefressen. Wobei mir gar nicht mal von der Menge schlecht ist, sondern von dem, was drin steht in den Akten … Da muss jemand Mächtigeres seine Finger im Spiel gehabt haben, jemand, der noch ganz andere Möglichkeiten hat, das Stück, das in unserer Stadt gespielt wird, zu dirigieren. Leute mit Geld und Einfluss und der großen Angst, beides zu verlieren."
Gespür für Wahrhaftigkeit
Die unkonventionelle Frau gewinnt das Vertrauen eines schwer verletzten Mannes, dem man Arme und Beine gebrochen hat, offenbar eine Warnung aus dem Milieu, und er gibt ihr den Hinweis auf einen bevorstehenden Drogendeal. Ebenso wichtig wie die aufschlussreichen Ermittlungen selbst ist die Art, wie Simone Buchholz‘ Hauptfigur sie in Angriff nimmt: Eine nicht ganz so einsame Wölfin mit feinem Gespür für Wahrhaftigkeit, und ihr "Rudel" besteht nicht nur aus den Kollegen, sondern sammelt sich gern in den Kneipen des Kiezes in St.Pauli.
"Die Kollegen Faller, Calabretta und ich sind ja generell nicht solche Sprechmaschinen. Wir essen. Wir sind zusammen. Es dampft, in den Herzen wie in den Bäuchen. Rocco und Carla nennen es: Klebstoff anrühren. Wir machen das alle paar Wochen. Und alle paar Wochen ist etwas anders. Gibt es einen anderen, der den Klebstoff ein bisschen nötiger hat als der Rest."
Poetisch und melancholisch
Wie sie ihre Freunde beschreibt, die "Gezeiten im Gang und die Große Freiheit im Gesicht", wie sie ihre Geschichten aus der Art, wie die Menschen sich bewegen, herausliest, ist poetisch und melancholisch und entfaltet eine große Sogwirkung. Simone Buchholz arbeitet zudem mit geschickten Rückblenden, in denen ihre Personen sich kurz und knapp zu Wort melden, und ganz allmählich fügen sich die einzelnen Bemerkungen und Beobachtungen zu einer Geschichte zusammen. Eine böse Geschichte von Korruption und Geschäftemacherei, in einer Stadt, die sich viel auf ihre gediegene Fassade zugutehält.
Blick hinter die Kulissen
Doch Simone Buchholz‘ Blick hinter die Kulissen wird durch die Augen ihrer Heldin Chastity mit der Abgeklärtheit der Aussenseiter geschärft und durch die gemeinsame Liebe zum Norden mit lakonischem Humor gemildert:
"Sowieso schwierig in einer norddeutschen Hafenstadt im knitterfaltigen März: das mit dem Lachen. Der Rest, also alles, was man ohne lachen machen kann, ist fast leichter als anderswo. Wir lassen uns einfach reinfallen in den Nebel, und schon laufen die traurigen Sachen von ganz allein. Einsam sein zum Beispiel. Oder Angst haben."
Wer sich nicht traut, in die Serie um Chas Riley einzusteigen, verpasst ein großes Lesevergnügen und die Möglichkeit, nach diesem sechsten Band, in dem die Autorin eine neue Ausgangslage schafft, auch die früheren kennenzulernen. Es lohnt sich in jedem Fall!
(Lore Kleinert)
Simone Buchholz *1972 in Hanau, Journalistin, freie Autorin, lebt in Hamburg
Simone Buchholz "Blaue Nacht"
Kriminalroman, Suhrkamp Nova 2016, 238 Seiten, 14,99 Euro
eBook 12,99 Euro
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