Simone Buchholz
Mexikoring
Am Ende steht ein Satz: "Und dann hab ich ihn angezündet." Der Tote im Auto am Mexikoring heißt Nouri Saroukhan, 28 Jahre alt, Jurist in einer Hamburger Versicherung.
Humorlose Welt
Doch Staatsanwältin Chastity Riley erkennt an seinem Namen, dass er aus einem verbrecherischen Clan in Bremen stammt – und wie sich herausstellt, ausgestiegen ist, um ein anderes Leben zu führen. Gemeinsam mit der Mordkommission um Stepanovic, dem Ermittler gegen organisierte Kriminalität, mit dem sie einiges verbindet, macht sich die unkonventionelle, toughe Frau bei den Bremer Kollegen über den Clan kundig.
"Die Welt der Mhallamiye ist eine durch und durch humorlose Welt“, sagte Baumann. "Das, womit viele soziale Gruppen, ja ganze Gesellschaften ihre Konflikte entschärfen oder sogar lösen, nämlich mit Humor, gibt es in diesem System nicht. Er findet einfach nicht statt, ganz ähnlich wie bei der italienischen Mafia. Vielleicht müssen wir deshalb mit allem, was wir sind, scheitern."
Anrührende Liebesgeschichte
Simone Buchholz verknüpft auf die ihr eigene, trocken-melancholische Weise die Geschichte dieser als libanesische Kurden geltenden Immigranten mit der Suche nach dem Mörder und mit einer anrührenden Liebesgeschichte. Der Stamm war als Söldnertruppe der Türkei im Grenzgebiet zum Iran, Irak und Syrien eingesetzt und betrachtete jahrhundertelang alles außerhalb seiner Struktur als feindlich. In den dreißiger Jahren wurden sie in den Libanon vertrieben und fanden im Bürgerkrieg schließlich Schutz in Deutschland – und blieben. Als die Beamten die Todesnachricht überbringen, werden sie Zeuge, dass der Vater und Clanchef nicht nur humorlos, sondern zutiefst feindselig reagiert. Der Sohn wurde längst als tot und verloren betrachtet, und der Verdacht, dass ihn die Strafe für sein Ausscheren einholte, liegt nahe.
Wie ein Monster
Die Erkenntnisse der Bremer Kripobeamten, gut recherchiert und von Simone Buchholz immer wieder eingeflochten, bieten tiefe Einblicke in eine kriminelle Struktur, deren Mitglieder die Zivilgesellschaft verachten und jegliche Einflussnahme von außen verhindern. Und wenn es darum geht, zu zeigen, wer der Stärkere ist, bricht brutale Gewalt aus, etwa in der Bremer Discomeile als drei Polizisten schwer verletzt wurden und einer ums Leben kam:
"Mitten in der metallischen Dunkelheit brach der Ärger aus wie ein Monster. Das Monster schlug alles kurz und klein, Autos, Fenster, Menschen, und das in einem irren Tempo, so schnell, dass nichts und niemand beschützt werden konnte. Wie es genau zu dem Ärger gekommen war, war fast egal, wichtig war der Ärger selbst…"
Frauen gelten in dieser archaischen Männerhorde nur als Ware und Opfer, und die junge Aliza, die mal Astronautin werden wollte, flüchtet nach Hamburg, nachdem ihre älteren Schwestern verscherbelt und vergewaltigt wurden.
Grenzen der Aufklärung
Die Liebe zwischen Nouri und ihr, den beiden Außenseitern, bietet die Chance auf ein anderes Leben, in einem anderen Land. War es Alizas Bruder, der den Mordbefehl ausführte? Und was geschieht, wenn aus Trauer Wut, aus Wut Hass wird? Simone Buchholz ist mit ihrem Kriminalroman wieder weit mehr gelungen als die Geschichte vom Aufklären eines Verbrechens. Die Welt durch die Augen ihrer melancholischen Heldin zu betrachten und ihr in die sternenweit voneinander entfernten Szenerien der Großstadt zu folgen, lässt uns besser begreifen, wo die Grenzen der Aufklärung liegen.
(Lore Kleinert)
Simone Buchholz, *1972 in Hanau/Hessen, Journalistin, freie Autorin, lebt in Hamburg
Simone Buchholz "Mexikoring"
Kriminalroman, Suhrkamp Nova 2018, 247 Seiten, 14,95 Euro
eBook 12,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Simone Buchholz
"Hotel Cartagena"
"Blaue Nacht"