Friedrich Ani
Der Narr und seine Maschine
"Seine Zukunft wäre die allumfassende Unsichtbarkeit" – Friedrich Anis Vermissten-Fahnder Tabor Süden will in den Zug steigen, aufbrechen, unterwegs sein. Doch seine ehemalige Chefin Edith Liebergesell verlockt ihn in diesem 21. Band im letzten Augenblick, noch einmal einen anderen Menschen zu suchen: einen vor Jahrzehnten berühmten Kriminalschriftsteller, der bis zu ihrem Tod mit seiner Mutter in einem kleinen Hotel lebte.
Verlorene Kindheit
Jetzt ist Cornelius Hallig, der unter dem Pseudonym Georg Ulrich schrieb, verschwunden, und der Hotelbesitzer sorgt sich um den kranken, stillen Mann. Friedrich Ani verbindet Tabor Südens Suche nach ihm mit seinen scheinbar ziellosen Bewegungen in der Stadt, wenn der Todessehnsüchtige Bilder der verlorenen Kindheit Revue passieren lässt.
"Wie in Trance oder unter Hypnose war er den Fetzen und Fratzen seiner Träume gefolgt, verstört von der Verwandlung der Trugbilder in reale Straßen, Gebäude und Gesichter. Als wäre er sein eigener Traumfänger, durch dessen Magie die dunkelsten Schatten aus ihm wichen und er in einer sommerhellen Gegend erwachte, an den Rändern einer flirrenden Kindheit."
Passt nicht mehr
Tabor Süden als Spezialist für "Vermissung" ist ihm ähnlich genug, um zu ahnen, wonach er sucht und wohin er sich bewegen wird. Er liest das Manuskript einer Lektorin, die mit seiner Biografie beauftragt war, und setzt sich behutsam auf die Spur dieses Mannes, dem alle menschlichen Beziehungen abhanden gekommen sind. Und er weiß, er würde ihn nicht verlassen. Sein letzter Auftrag wird nicht erfüllt, denn er wird den Verschwundenen nicht preisgeben, sondern Zeit mit ihm verbringen, Popsongs aus den Siebzigern hören, Negroni trinken, ihm zuhören.
"Wenn Sie in sein Gesicht schauen, kommen Sie nicht auf die Idee, dass da je ein Lächeln war. Irgendwann vor langer Zeit muss er es aufgegeben haben. Gestrichen, wie einen Satz im Text, der nicht passt. Passt nicht mehr zu ihm, so ein einfaches Lächeln. Ausradiert."
Leise Verzweiflung
Von den klassischen Mustern polizeilicher Ermittlung hat sich Friedrich Ani ohnehin längst verabschiedet, und in dieser dunkelfarbigen Geschichte geht es ihm einmal mehr um die leise und unheilbare Verzweiflung von Menschen, die keinen Plan B haben, wenn ihre Kraft erschöpft ist. Zugleich ist Anis kurzer Roman vom unausweichlichen Abschied eine Hommage an den großen amerikanischen Kriminalschriftsteller Cornell Woolrich, der wie Hallig die längste Zeit seines fünfundsechzigjährigen Lebens mit seiner Mutter in Hotels lebte. In seiner Autobiographie "Blues of a Lifetime" bezeichnete er sich selbst als "fool and his machine", als Narren mit seiner Maschine, und er wurde für den noch jungen Autor Hallig zum Wegbegleiter.
Ohne Ziel und Weg
Das Schreiben bot dem verschwundenen Schriftsteller Lebenssinn, für eine begrenzte Zeit, und am Ende wird Tabor Süden mit Halligs Schreibmaschine, einer grünen mechanischen Monica und seiner Pistole wieder am Bahnhof stehen, ohne Ziel und Weg, aber mit der Erinnerung an einen einzigartigen Menschen.
"Anscheinend existierte in ihm eine Welt, die sein Unterbewusstsein eisern hütete und nicht an die Oberfläche ließ. So konnte er sein reales Leben nie ändern oder zumindest beschwingter ertragen… Dennoch: In der großen Zeit hatte er geträumt und gelebt. Dann hatte er nur noch gelebt. Er schlief nach Mitternacht ein und wachte im Morgengrauen auf, und die Nacht dauerte an und nannte sich Tag."
(Lore Kleinert)
Friedrich Ani *1959 in Kochel am See, Autor von Romanen, Drehbüchern und Hörspielen, lebt in München
Friedrich Ani "Der Narr und seine Maschine"
Ein Fall für Tabor Süden
Suhrkamp Verlag 2018, 143 Seiten, 18 Euro
eBook 15,99 Euro
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