Friedrich Ani
Der namenlose Tag
Ein Fall für Jakob Franck
Seit zwei Monaten ist Kriminalhauptkommissar Jakob Franck im Ruhestand, und er hofft, dass er die Gespenster seiner Vergangenheit, all die Toten, denen er als Mordermittler begegnete, hinter sich lassen kann, "ein alter, grauer Mann in einer zu großen grellen Welt, der sich den Tod ausgesucht hatte, um Menschen nahezukommen und sie gelegentlich sogar zu umarmen" – so sieht er sich selbst.
Spurensuche
Doch ein verzweifelter Mann, dessen Tochter vor 20 Jahren an einem Baum erhängt aufgefunden war, lässt ihm keine Ruhe. Franck geht auf Spurensuche und wühlt sich immer tiefer in das Leben der Familie Winther hinein: die Mutter, die er eine Nacht lang in den Armen hielt, als er ihr die Todesnachricht überbrachte, nahm sich ein Jahr später das Leben, die Tante, ihre Schwester Inge, war mit achtzehn nach Berlin aufgebrochen, weil das Leben anders nicht mehr zu ertragen war, und Ludwig Winther, der Vater des toten Mädchens, war beschuldigt worden, seine Tochter missbraucht zu haben.
Rätselhaft
Je mehr der Ermittler wider Willen erfährt, desto mehr stößt er auf ein Schweigen, das die ganze Familie "in eine innere, unüberwindbare Obdachlosigkeit" getrieben hat, ein Thema, das den Autor Friedrich Ani in allen seinen Kriminalromanen um Tabor Süden, Polonius Fischer und Jonas Vogel immer wieder beschäftigt hat. Mit seinem neuen Helden konfrontiert er einen melancholischen Mann mit Rätseln, die sich erst lösen lassen, wenn das Schweigen gebrochen wird, und das ist die Stärke von Jakob Franck. Geduldig spricht er mit den Zeugen von damals und sortiert das Puzzle um, bis sich aus den Erinnerungen der Menschen neue Bilder ergeben, stilistisch brillant beschrieben.
Verletzte Seelen
"Inmitten der zerstörten Ordnung… bildete die Wahrheit das Zentrum, wie am Tatort eines Gewaltverbrechens, wo nichts mehr stimmte und zusammenpasste und doch ein Fossil sich versteckte, das die Vergangenheit mit der Gegenwart verband und in die Zukunft wies, auf die Lösung des Falles."
Hinter dem Tod der Schülerin tut sich ein anderer Fall auf, der Mord an der Mutter eines Jungen Patrick Jordan, der als einziger das Vertrauen des Mädchens hatte und ihr das Seil mitbrachte, an dem sie später hing. Dem "schwarzen Vogel Einsamkeit", den Franck in den Augen seelisch verletzter Menschen erkennt, kann er dabei nicht aus dem Weg gehen, sondern muss ihm folgen, muss Tapetentüren öffnen und in Verliese hinabsteigen, "die aus nichts als staubigem Schweigen und Lügengerümpel bestanden".
Den Toten so nah
Ani beschreibt das alltägliche Elend mit gewohnt hohem Einfühlungsvermögen und mit Respekt für die Elenden, die Armseligen, die Enttäuschten, aber auch voller Zorn über vertane Chancen und Selbstbetrug. Da sein Exkommissar Franck den Toten so nah ist, ist er ein guter Begleiter, um dem Leben zu seinem Recht zu verhelfen, und man darf gespannt sein, wie lange Friedrich Ani ihn auf die Reise schickt.
(Lore Kleinert)
Friedrich Ani *1959 in Kochel am See, Autor von Romanen, Drehbüchern und Hörspielen lebt in München
Friedrich Ani "Der namenlose Tag"
Ein Fall für Jakob Franck
Suhrkamp 2015, 301 Seiten, 19.95 Euro
eBook 16,99 Euro, Hörbuch Download 12,99 Euro
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